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„Mir geht es um Leidenschaft, immer!“—Laurent Garnier im Interview

Lob für den Underground und inspirierende Independent-Labels, die Musikszenen von Manchester bis Paris und die anhaltende Faszination für die Magie des Dancefloors—Laurent Garnier ist aktiv wie eh und je.
Im Gespräch mit Lauren Martin klingt er auf ansteckende Weise energisch—mit endlosem Lob plädiert er für den Underground und inspirierende Independent-Labels, spricht über seine öffentliche Wahrnehmung und die anhaltende Faszination für die Magie des Dancefloors.

Der französische House-Produzent, DJ und Radiomoderator Laurent Garnier ist seit bald 30 Jahren eine der wichtigsten Stützen der weltweiten House-Szene, und auch 2014 ist er so aktiv wie eh und je—ob als Produzent oder im Clubleben. Fünf neue EPs veröffentlicht er in diesem Jahr, alle auf unterschiedlichen Labels: HipHop auf dem Pariser Label Musique Large, von Chicago beeinflusster House auf Still Music und Techno auf dem Label 50 Weapons sind bisher angekündigt. Und alle beweisen, dass Garniers Hunger auf Neues alles andere als geringer geworden ist.

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THUMP: Laurent, du veröffentlichst dieses Jahr fünf neue EPs auf fünf verschiedenen Labels?!
Laurent Garnier: Wenn ich ein Album mache, vermische ich dabei meistens viele verschiedene Musikstile. Also war die Idee, stattdessen fünf EPs zu machen und dadurch einen intelligenteren und gezielteren Weg zu finden, diese verschiedenen Stile anzugehen; eine Chicago-House-EP für Still Music, die eher an Down-Tempo und HipHop orientierte Veröffentlichung für Musique Large, die düstere Techno-Seite für 50 Weapons. Wenn ich mich auf die einzelnen Stile, die mich interessieren, konzentriere, wird daraus meiner Meinung nach eine bessere EP. Wenn ich all die Stile zusammen auf ein Album packen würde, wäre der Effekt geringer.

Ich bin überrascht, dass du etwas auf Musique Large rausbringst; das ist ein großartiges Label, keine Frage, aber auch wirklich Underground und eher der experimentellen Seite des HipHop zugewandt—als dem House-Stil, mit dem die Hörer dich verbinden würden. Wie kam es dazu?
Die Idee, Songs an Musique Large zu schicken, kam mir ziemlich schnell. Ich verfolge das Label nun schon länger. Ich hatte die letzten vier Jahre eine Show im französischen Radio und ich habe ihre Musik da ziemlich viel gespielt. Ich bin ein großer Fan.

Wie war es, bei jedem Release mit einem anderen Label zu arbeiten? Das muss ein ziemlicher Balanceakt gewesen sein …
Wenn ich mit jemandem arbeite, muss ich mich anpassen. Ich kann dem Label meine Musik ja nicht aufzwingen. Das ist eher eine Art Kollaboration. Wenn ich ihnen einen Track geschickt habe, ging das hin und her: „Oh, uns gefällt diese Richtung, vielleicht solltest du einen Song in diesem Stil machen" und so weiter. Ich sehe diese Projekte als eine Art natürliche Auslese. Wenn du willst, dass ein neues Label sich mit dir auseinandersetzt, musst du dich auch mit ihnen auseinandersetzen. Ich kann nicht einfach aufkreuzen und sagen „Hey, ich bin Laurent Garnier und ich mache was ich will!"—das muss eine umfassende Erfahrung sein. Es mag manche Leute erschrecken, dass ich etwas mit Musique Large mache, aber es ist jetzt auch nicht kilometerweit von dem entfernt, was ich musikalisch sonst so mache.

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Warum teilst du das alles auf? Warum machst du 5 EPs statt einer LP?
Ich wollte schon immer zu viel. Wer weiß, vielleicht war das auch ein Fehler? Ich bin eine vielschichtige Person. Es geht nicht so sehr darum, meine Arbeitsweise zu verändern, sondern sie auf neuem Wege zu kanalisieren, damit die Sounds am besten zur Geltung kommen. Wenn ich viele Tracks mache, ist das meistens für ein Album—und dabei denke ich nie an einen bestimmten Stil. Ich kann verstehen, wenn sowohl du als auch der Hörer den Blick fürs Wesentliche verlieren, wenn ich zu viele Informationen liefere. Auf einigen meiner Alben sind starke Songs, die mir etwas bedeuten. Aber da um sie herum zu viel passiert, haben sie manchmal nicht so herausgestochen, wie sie es sollten.

Wenn ich mir ein großes Label gesucht hätte, hätten die Leute vielleicht gedacht, dass es mir nur um Publicity geht. Aber die Idee bei kleinen Labels? Die sind alle sehr Underground, die Leute verstehen, dass ich mich nie verkauft habe. Ich mache nie etwas um mehr zu verkaufen, es ging bei mir schon immer um die Leidenschaft. Ich habe drei oder vier Monate lang mit den Labels gesprochen, also ist das kein One-Night-Stand. Wenn wir mit diesen fünf Platten fertig sind, bringen wir etwas raus, bei dem alle zur gleichen Zeit dabei sein können.

Wie waren die Reaktionen? Ich kann mir vorstellen, dass es schwer ist, ehrliches Feedback zu bekommen, wenn man schon so lange wie du im Geschäft ist.
Ich habe neulich ein 24-Stunden-Programm für einen französischen Radiosender zusammengestellt—ich glaub' ich habe ihnen 300 oder 350 Songs gegeben—darunter waren auch einige meiner eigenen Tracks. Ich habe allerdings nicht gesagt, dass es meine sind. Als ich die gespielt habe, haben die anderen beim Sender gesagt: „Wow, ich liebe diesen HipHop-Track!" Ha, das war eine wirklich seltsame und versteckte Art, gelobt zu werden. Ich habe gesehen, wie Leute auf das Material reagierten, ohne zu sagen „das ist ein Laurent Garnier-Track" …

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Deine letzte Radiosendung gibt es allerdings nicht mehr gibt. Verabschiedest du dich jetzt vom Radio, um dich auf andere Dinge zu konzentrieren?
Nein, ich spreche gerade mit einer anderen Radiostation in Frankreich über eine Sendung ab September. Ich liebe das Radio!

Wie hältst du die Begeisterung für das Radio am Leben, obwohl du schon so lange dabei bist?
Ich habe das große Glück in einer Position zu sein, in der ich keine Zugeständnisse machen muss. Wenn ich eine Show angehe, mache ich mein Ding. Man zwingt mich nicht, etwas bestimmtes zu spielen. Wenn ich Lust habe, eineinhalb Stunden Punkrock zu spielen, dann mache ich das. Das Radio ist genau dafür da. Radio erlaubt mir, Musik zu spielen, die ich nicht laut in Clubs spielen kann. Als DJ ist es mein Job, Leute zum Tanzen zu bringen. Aber wenn du Zuhörer am Radio hast, dann hast du diese Sorge eben nicht. Mir gefällt, dass ich etwas aussuchen kann, das die Leute alleine zuhause hören—das ist so eine intime Beziehung. Da du dazwischen redest und dir für jede Platte Zeit nimmst, lernen sie mehr von deiner Persönlichkeit kennen. Du öffnest dich mehr, als wenn du in einem Club auflegst.

Thump Interview Laurent Garnier Foto Press Promo

Was hältst du von der Entwicklung der britischen Dance-Szene; besonders in Städten wie Manchester? Die lobst du immer sehr.
Manchester hat in den 90ern eine dunkle Phase durchgemacht. Gangs und Gewalt haben der ganzen Sache wirklich zugesetzt und für eine lange Zeit war die Stadt kein wirklich einladender Ort für einen DJ. Das hast sich dank des Warehouse-Projects—und anderen davor—geändert, die wieder ein richtiges Nachtleben aufgebaut und gute DJs nach Manchester gebracht haben. Es stimmt, dass das Warehouse-Project eine sehr wichtige Rolle für Clubbing in Nordengland spielt, da sie ein wirklich großes Publikum anziehen und trotzdem Underground-Musik unterstützen. Heutzutage gehst du in Manchester aus und findest 5000 bis 6000 Leute, die zu wirklich unbekannter Musik abgehen. Manchester hat harte Zeiten durchgemacht, aber die Stadt hat sich nie verkauft. Es fühlt sich immer noch gesund an.

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Wie sieht die Szene derzeit in Frankreich aus, besonders in Paris?
Paris explodiert gerade. Es gibt wohl 10 oder 12 Clubs, in denen es gute Underground-Musik gibt, jede Nacht mit großartigen Line-Ups. Es gibt so viele neue Künstler, DJs, Labels, Clubs—das habe ich vorher noch nie so erlebt! Es gibt gerade eine große Begeisterung für Underground-Musik in Frankreich, eine echte Rückbesinnung auf den Underground.

Ich frage deshalb, da in Großbritannien nicht wirklich über französische Dance-Künstler gesprochen wird. Das letzte große Interesse an elektronischer Musik aus Paris galt Ed Banger, aber das war vor fast zehn Jahren.
Die Sache mit Ed Banger ist die, dass es auch in die Zeit vor acht oder zehn Jahren gehört. Neben der Musik—die ich immer mochte—hatten sie eine relativ aggressive Verkaufsstrategie für dieses ganze Ed Banger-Paket. Die neue Generation lehnt das ziemlich stark ab. Sie wollen Musik. Sie konzentrieren sich auf Qualität und nichts anderes. Wir sind gerade in einer sehr starken „Post-Ed Banger"-Phase, aber ohne Ed Bangers Erfolg und Reichweite gäbe es die heutige Generation, die für den Underground kämpft, vielleicht nicht. Das sollte man also positiv sehen.

Meinst du das auch mit deinen Posts über die EPs, wenn du davon sprichst, gegen Vermarktung und Globalisierung zu arbeiten?
Vor vielleicht zehn Jahren wurde die Art, wie sich DJs selbst vermarkten, wichtiger als die Musik selbst. Alles hat sich verändert, vom gesichtslosen Techno bis hin zu den Superstar-DJs; die Leute verlangten horrende Gagen, alles war voll mit riesigen Logos und Werbung, dazu ununterbrochen Vermarktung über Facebook—es ging mehr um das Image als den Inhalt. Vor drei oder vier Jahren kam dann die neue Generation auf, die nicht mit Vinyl aufwuchs, und fragte: „Was ist der Sinn bei diesem ganzen Scheiß?" Sie haben eine neue Botschaft gefunden, einen neuen Kampf für die Musik, die ihnen wichtig ist. Viele legen wieder mit Vinyl auf, verweigern sich der Massendistribution und dem ganzen Medienmist. Das ist ein ähnlicher Kampf wie wir ihn vielleicht schon vor zwanzig Jahren hatten.

Ich bin ungewöhnlich skeptisch gegenüber DJs und Produzenten, die darauf bestehen, dass Vinyl besser oder ehrlicher oder mehr wert ist als andere Medienträger. Ich habe das Gefühl, dass „elektronische Tanzmusik ernst nehmen" und ein Vinyl-Liebhaber zu sein nicht unbedingt zusammengehören müssen. Ist das wirklich ein Muss heutzutage, sich darum zu kümmern und in Kultur zu investieren, sich für Vinyl zu interessieren?
Schallplatten sind nicht nur Fetisch. Ich bin Teil einer Generation, die mit Vinyl aufgewachsen ist und weiß, wie es ist, in bedeutsame Künstler zu investieren. Wenn du 15 Euro für eine Platte ausgibst, von der du weißt, dass sich ein Künstler dafür enorme Mühe gegeben hat, dann weißt du, dass du das Ergebnis seiner Arbeit in Händen hältst. Wenn du heute 18 oder 20 Jahre alt bist, wirst du in einer Welt voll Musik aufgewachsen sein, in der alles gratis ist. Wenn du deinen Computer anmachst, kannst du fast alles umsonst bekommen. Diese neue Generation weiß nicht wie es ist, zu investieren.

Ich verstehe, dass man Vinyl kauft und sammelt, weil es einen materiellen Gegenwert hat. Aber das künstlerische Gewicht bedeutet ja auch etwas. Wichtiger noch: Es geht darum, wiederzuentdecken, was es bedeutet, in jemanden zu investieren. Wenn junge Leute auf diese Weise investieren, entdecken sie ein neues Gefühl für den Künstler. Sie interessieren sich mehr für ihn. Ich bin nicht übermäßig nostalgisch und genauso froh mit Vinyl-only-Labels zu arbeiten, wie von USB-Sticks zu spielen. Solange du einen guten Track spielst, ist es egal, woher er kommt. Besonders wenn dein Augenmerk auf dem Dancefloor liegt. Das ist mein Job als DJ.

Folgt Lauren auf Twitter: @codeinedrums