Warum dieser Typ seit Jahren jeden Tag in die Fußgängerzone raven geht

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Warum dieser Typ seit Jahren jeden Tag in die Fußgängerzone raven geht

Die Leute nennen ihn den “Silent Raver”, doch oft schlägt ihm Häme entgegen.

Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP UK erschienen. Fotos via Youtube

Jede Stadt hat ihre eigenwilligen Typen. Die Spitzbuben und Großmäuler, die Charmebolzen und Draufgänger, die Außenseiter und beinahe mythischen Erscheinungen. Und irgendwie schaffen es diese Gestalten, den Charakter einer Stadt besser auf den Punkt zu bringen als jeder Reiseführer.

Doch über sie hinweg verläuft die feine Grenze zwischen aufrichtiger Anteilnahme und unverhohlener Häme. Hält diese Gesellschaft schließlich stets die Fahne der Exzentrik hoch, wenn auch als leicht verblassten, leicht langweiligen und leicht konservativen Begriff. Denk nur mal an diese "lustigen" rassistischen Sprüche, die deine Familie deinem Onkel jedes Mal durchgehen lässt, weil er eben so tickt und seine eigene Meinung hat.

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Auch das nicht gerade als Traumstadt bekannte schottische Glasgow hat so einen eigenwilligen, stadtbekannten Typen: den "The Silent Raver". Jeder, der jemals ein bisschen Zeit in der Stadt verbracht hat, kennt ihn. Und selbst wenn du noch nie dort gewesen bist, hast vielleicht schon mal von ihm gehört.

Der Silent Raver trägt in der Regel Klamotten in einer schrillen Neonfarbe und gelegentlich auch ein paar Glow-Sticks oder Rave-Gloves. Die Kopfhörer geben den Rhythmus vor und dann geht die Ein-Mann-Loveparade schon los. Seine Gliedmaßen bewegen sich in Positionen, von denen andere nur träumen können. Aber wer ist dieser Typ, dessen bürgerliche Identität Leo Mushet? Bislang war nur wenig über ihn bekannt. Doch nun gab er jedoch dem Online-Stadtmagazin Glasgow Live ein Interview.

"Ich liebe es einfach, zu tanzen. Das war schon immer so", erzählte er. "Ich hab das früher auch schon in Einkaufszentren und Straßen in Edingburgh gemacht." Der 46-Jährige sammelt durch sein wackeres Raven Geld für verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen. Darunter: die Krebsforschung, was einen sehr persönlichen Grund hat: Leos Schwester Elizabeth starb im Alter von nur zwölf Jahren an Leukämie.

"Die Leute machen Glasgow." So wirbt die Stadt aggressiv für sich selbst. In Wahrheit wäre es aber falsch anzunehmen, dass Leo in der Stadt durchgängig Akzeptanz und Anerkennung finden würde. Er selbst berichtet von Beschimpfungen, die Leute nennen ihn einen Junkie oder einen Verrückten—Vorfälle, die ihn fast dazu brachten, seine Raverschuhe an den Nagel zu hängen.

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Trotz seiner öffentlichen Selbstdarstellung kann Glasgow eine zum Verzweifeln unversöhnliche, grausame Stadt sein, besonders für alle Schwachen und ohnehin schon Gefährdeten. Die Vorstellung, dass die Schotten hier toleranter und freundlicher gegenüber einem eigenwilligen Typen wären, hält einer genauen Prüfung schon beim ersten Blick nicht stand. Wenn die Leute wirklich Glasgow ausmachen, wäre Leo doch eigentlich perfekt für eine lokale Vereinnahmung und Werbung—der akrobatische ungezügelte Raver in einer Stadt ohne Ambitionen. Aber wann sind die Dinge schon mal so einfach?

Vielleicht muss man aber auch gar nicht zwangsläufig zu einer lokalen Ikone werden. Vielleicht geht es mehr um persönliche Dinge. Leo bekennt, dass er früher Probleme mit Drogen hatte. Eine Kopfverletzung in Folge eines "schlimmen Unfalls" vor über zehn Jahren war aber dann der Wendepunkt in seinem Leben.

Vielleicht tanzt er also für etwas Wichtigeres und Größeres als die öffentliche Anerkennung?

Und außerdem wiegen die positiven Kommentare die Beschimpfungen wieder auf. Oder in Leos Worten: "Die Leute sagen, dass sie es lieben, mir beim Tanzen zuzuschauen. Ich möchte nicht aufhören und werde es auch nicht. Egal, was alle sagen, ich werde mich nicht ändern."

Das sollte Leo auch nicht. Eine Stadt mit einem Selbstbild wie Glasgow, kann es sich zwar eigentlich nicht erlauben, dass ihre eigenwilligen Typen schlecht gemacht werden. Aber so wie alle anderen guten Sachen in dieser Stadt, gibt Leo einen feuchten Dreck auf die Leute, die Ignoranz und Häme. Wo ihn das hinführen wird? Wer weiß. Er ist auf einer Mission: leise und wild zu raven, egal ob im Winter oder Sommer.

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Leos Lieblingssong ist übrigens "Party in the USA" von Miley Cirus. Aber er ändert den Text passenderweise stets zu "Party in Glasgow", denn „das ist es, was ich am Liebsten mache."

Lieber Leo Mushnet, stiller Raver und Held von Glasgow, lass dir gesagt sein: Der Tag, an dem deine Tanzbewegungen nicht mehr die Buchanan Street im Zentrum von Glasgow erleuchten lassen, wird ein trauriger sein.

P.S. Weihnachten ist ja nicht mehr allzu lange hin, jedenfalls verkaufen die Supermärkte schon wieder entsprechendes Gebäck. Falls du einen spontan Rave vor dem Christbaum deiner Familie planst, kannst du dich von dieser Performance von Leo im November 2013 inspirieren lassen:

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