Loveparade, deine Zeit ist vorbei—und zwar schon sehr, sehr lange

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Kommentar

Loveparade, deine Zeit ist vorbei—und zwar schon sehr, sehr lange

Nie wieder Loveparade!

Noel Gallagher hat gerade ein Album rausgebracht, das den Titel Chasing Yesterday trägt. Es klingt-wie der reflektierte Titel schon sagt, äußerst gestrig, nämlich genau so, wie es vor 20 Jahren schon hätte klingen können. Damals wäre das mit Sicherheit ganz cool gewesen, heute ist es, sorry, liebe Oasis-Fans, schlicht langweilig. Außerdem läuft Noel durch die Gegend und erzählt, dass Rap einzig und allein von Bitches und Money handele und überhaupt es absurd witzig sei, wenn es so was auch in anderen Sprachen als (amerikanischem) Englisch gebe.

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Warum ist all das für einen Thump-Artikel, der von der Idee einer neuen Loveparade, Verzeihung, „Zug der Liebe" handeln soll, wichtig? Weil all das etwas ganz Bestimmtes über Noel Gallagher aussagt: Er ist alt.

Wenn man alt ist, verändert man sich und das ist nicht nur selbstverständlich, sondern auch wichtig, richtig und sehr gut. Niemand möchte und sollte für immer so sein, wie mit 20 Jahren. Aber als man 20 war, stand einem die Welt offen, es war echt alles supercool, jung, wild, der Kater blieb keine drei Tage und so weiter. Wenn man alt wird, stellt sich daher ab und an dieses hässliche Gefühl ein: Nostalgie.

Nostalgie ist das schlimmste, was einem passieren kann. Klar kann man mal gefahrlos in einer einsamen Stunde ein What's The Story Morning Glory rauskramen und ein wenig den alten Zeiten nachhängen, aber wer dauerhaft nostalgisch ist, wird niemals etwas bewegen.

Die Idee, Berlin eine neue alte Loveparade unter dem Titel Zug der Liebe zu schenken, stinkt bis nach Duisburg nach Nostalgie. Schon allein deshalb kann der Zug der Liebe keine gute Idee sein. Schaut man ein wenig hinter die Zug der Liebe-Kulissen, bestätigt sich der Eindruck. Vor die Medien tritt weder der originale Dr. Motte noch irgendein jugendlicher Wiedergänger, sondern der 42-jährige Jens Hohmann, bisher nur wenigen bekannt als Kopf hinter dem Berliner Clubguide-Blog The Club Map.

Im Grunde gibt es nichts dagegen einzuwenden, dass sich Hohmann und seine Freunde gesellschaftlich engagieren wollen, im Gegenteil. Aber es passt - wenn man sich das offizielle Statement der Veranstalter durchliest - in der Idee des Zugs der Liebe nichts zusammen. Zum einen gibt man sich den vollkommen nichtssagenden Titel Zug der Liebe, der klingt, wie eine schlechte Übersetzung von Loveparade. Zum anderen legt man größten Wert darauf, nicht mit der Loveparade verglichen zu werden. Zum einen will man politisch sein und macht sich gegen verblendete, konsumgeile Events stark, zum anderen unterstellt man sich dem hohlen Nicht-Motto „Friede, Freude und Liebe". Zum einen beschreibt man die verbindende Kraft von Techno und Feiern, zum anderen möchte man weg vom „unpersönlichen Charakter einer Großveranstaltung". Feiern ist auch nur bedingt erlaubt, denn man empfiehlt den Besuchern, keinen Alkohol zu konsumieren.

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Da fragt man sich unweigerlich: Was soll der Zug der Liebe denn nun sein? Eine politische Demonstration gegen Gentrifizierung, Pegida, Konsumismus? Diese Stichpunkte nennen die Veranstalter, einigermaßen wahllos. Was hat die Pegida mit der Gentrifizierung von Berlin zu tun? Was hat das wiederum mit Konsumismus zu tun? Und soll „Liebe" allen Ernstes eine politische Forderung sein?

Und wenn man so politisch sein will, warum demonstriert man nicht gleich noch gegen Griechenland, Sozialschmarotzer und Drogen? Oder für Drogen! Gegen Olympia. Gegen die Bebauung des Tempelhofer Felds. Für den Flughafen Tegel. Oder gegen Putin. Unseretwegen auch gegen Poroschenko. Oder TTIP. Die Abholzung des Regenwaldes. Fleischkonsum. Veganismus. Whatever!

Wenn man nicht die Eier hat, sich auf ein Programm oder zumindest eine Idee festzulegen, hat man das Problem, dass man sehr schnell wahllos und daraus folgend belanglos wird.

Als sich 1989 die ersten Menschen zur Loveparade zusammenfanden, war im Berlin der Wendezeit tatsächlich gerade vieles ziemlich cool: Der kalte Krieg löste sich friedlich auf, Berlin wurde eins, die Zukunft breitete sich bunt und vielversprechend vor der Hauptstadtjugend aus, Ecstasy sorgte für gute Laune, Techno bildete den passenden Soundtrack. Liebe wurde wieder mehr zum Thema, weil die Angst weniger wurde. Und natürlich war da Freiheit. Freiheit, wohin das Auge blickte.

Heute ist die Situation anders. Die Welt brennt an allen Ecken und zum Teil nicht sehr weit von unserer Wohlstandsoase entfernt. Politik wird (auch für die lange so „apolitische" Jugend) wieder wichtig, weil es wichtig wird, sich zu bestimmten Dingen zu positionieren. Berlin selbst bietet immer weniger Freiheiten, wird von Gentrifizierung und Touristen erdrückt … andererseits ist Berlin von beidem (finanziell) abhängig. Wie mutig und richtig wäre da ein Demonstration mit klarer politischer Aussage, bestenfalls vorgebracht von der Jugend, die das alles betrifft. Und nicht von ein paar altersgemütlichen Vierzigern, die damals auf der Berliner Loveparade feiern waren und das „Friede, Freude, Eierkuchen" vermissen. Eure Zeit ist vorbei.

Es ist zu wünschen, dass es irgendwann wieder eine Jugendbewegung entsteht, wie die, die Ende der Achtziger die Loveparade begründet hat, eine, die die Über-Vierzigjährigen schlicht und einfach nicht verstehen, die mit ihrer auf Nostalgie begründeten Vorstellung nicht überein geht.

Hoffentlich wird das irgendwann passieren. Ich habe allerdings große Zweifel daran, dass Berlin noch der richtige Ort dafür ist.

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