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Brexit

Manni Dees “London Isn't England” zeigt dir, was in Brexit-England gerade abgeht

Mit famos brachialem Techno wehrt sich der Londoner gegen politische Schlamassel und zunehmende Hate Crimes in seiner Heimat.

Konstant angepisst: Manni Dee auf diesem Promofoto

Wenn du die politischen Nachrichten interessiert verfolgst, dann weißt du, dass die Welt Gott sei Dank nicht nur aus Trump und Bernd Höcke besteht. Wobei, wirklich lustig ist unser heutiges Thema auch nicht. Am Dienstag hat die britische Premierministerin Theresa May die Grundzüge ihres Brexit-Plans dargelegt. Die Mehrheit der Bevölkerung Großbritanniens will ja schließlich aus der EU austreten. Mays Plan kam mit der unverhohlenen Drohung daher, dass, würde die EU ihrem Land kein faires Angebot machen, man einfach die Gewerbesteuer so niedrig setzen würde, dass massenhaft europäische Unternehmen nach UK abwandern würden. Sympathisch. Was das alles aber mit elektronischer Musik zu tun hat?

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Dem Produzenten Manni Dee steht der ganze Mist seit einigen Jahren bis zum Halse. Seine Antwort auf hilflose Tories, Rechtspopulisten und unfähige Linke? Rastloser, halsbrecherischer Techno. Seine letzte EP auf Leyla hieß etwa Counterculture und sorgte vor allem mit dem Track "Cameron On a Guillotine" für Aufsehen. Immerhin war der damalige Premierminister David Cameron, der uns den ganzen Brexit-Schlamassel erst eingebrockt hat, da noch im Amt.

Mit der EP Throbs Of Discontent meldet sich der Londoner am 27. Januar auf Perc Trax, dem Label von (natürlich) Kollege Perc zurück. Und Dee ist kein bisschen milder geworden. Das zeigt auch das Brett "London Isn't England", das wir nachfolgend als Premiere haben. Außerdem haben wir mit ihm vorher noch über das Zwischenspiel von Politik und Musik sowie den wachsenden Rassismus in Großbritannien gesprochen. Für Dee ist klar: Er wird das sinkende Schiff so schnell nicht verlassen.

Hi Manni, die wichtigste Sache zuerst: Wie denkst du über Theresa Mays Brexit-Rede?
Manni Dee: Zunächst einmal—und ich glaube, ich werde das noch öfter sagen—möchte ich festhalten, dass es nicht die Aufgabe von Künstlern ist, belehrend zu sein. Ich selbst will auch nicht, dass mir irgendein Künstler erzählt, wen ich wählen soll. Viele deiner Leser sehen das bestimmt genau so. Die Leute sollen für sich selbst denken. Das ist mir wichtig, gerade wenn man wie ich einen Track "Cameron On a Guillotine" nennt.

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Und die Rede?
Politische Ereignissen können mich nicht mehr schockieren. Das kann natürlich gefährlich sein, weil das Absurde normalisiert wird. Mich hat ihre Rede nicht überrascht, sondern einfach meine Enttäuschung einmal mehr bestätigt. Es lag Verzweiflung in der Luft. Gewisse Sätze schienen darauf ausgelegt zu sein, aus einer Position der Lächerlichkeit heraus zu beruhigen und zu besänftigen.

Ich nehme mal an, dass, obwohl du "Cameron On a Guillotine" sehen wolltest, du nicht wirklich erleichtert von seinem Rücktritt, oder?
Unglücklicherweise nicht, nein. Ich freue mich, sein dickes rosa Bubengesicht nicht mehr so oft sehen zu müssen, aber der Hydra ist einfach ein neuer Kopf gewachsen, der die selbe Ideologie predigt.

Wie haben das Brexit-Votum und andere Entwicklungen dein Leben so weit beeinflusst?
Nach dem Referendum haben Hassverbrechen inflationär zugenommen. Das hat meine Sensibilität für rassistische Diskriminierungen verstärkt, aber physische oder ökonomische Auswirkungen hat das so weit noch nicht auf mich gehabt. Es gibt keinen konstruktiven Diskurs, aber man spürt, wie sich alles polarisiert. Die Sektiererei der Linken ist ebenfalls ein Problem. Die Abstimmung, die nie hätte stattfinden sollen, wurde so dargestellt, als bestehe die Wahl zwischen Sparpolitik und … Sparpolitik, gerade wenn man sich die EU-Sanktionen gegen Länder wie Portugal, Irland, Griechenland, aber auch Kenia und andere afrikanische Staaten verdeutlicht.

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Im Angesicht der zunehmenden nationalistischen und abspalterischen Tendenzen innerhalb der UK: Wohin wird sich die Szene entwickeln? Sollte sie sich weiter öffnen und lauter werden, oder eher sich gen Underground verabschieden?
Was mir in letzter Zeit besonders auffiel, ist der Aufstieg von weiblichen und feministischen DJ-Kollektiven. Möge das immer so weitergehen! Ich bin vor allem gegen das Ausschließen an sich, sei es nun, dass Trump nach England kommt, sei es, dass gewisse Redner von Universitäten verbannt werden. Klar, Hate Speech ist nochmal was Anderes, aber wenn du dich einfach nicht mit jemandem in einen Raum setzen kannst, der eine komplett andere Meinung als du hat, dann gibt es ein Problem. Es gehört zu unserer Verantwortung, warum wir etwas für falsch halten, in offener Debatte und Diskussion zu begründen. Sich mit Leute zu unterhalten, die eine entgegengesetzte Sichtweise zu dir haben, führt dazu, dass sich deine Argumente verbessern und stärker werden. Außerdem vergrößert sich deine Empathie.

Die Unsicherheit ist das einzig Sichere gerade.

Das Cover deiner EP zeigt, wenn ich das richtig sehe, eine geknebelte Statue, die von einer Plastikfolie stranguliert wird. Ist das ein Kommentar auf den Zustand der freien Rede in UK oder doch auf den der Jungen und Kreativen?
Perc (Mannis Labelboss) hatte mir durch seinen Fotografen James Guppy einen Satz Fotos zukommen lassen. Das war eins davon. Und es passte perfekt, da es für mich das Ersticken der Gedanken symbolisiert—und die Engstirnigkeit vermeintlicher Freidenker, die Unterdrückung politischer Alternativen und die Effizienz der Algorithmen, die uns in unserer Filterblase einsperren.

Du bist aus der Industriestadt Wolverhampton und lebst jetzt in London. In deinen Arbeiten hast du dich zudem immer wieder mit dem Konzept einer Gegenkultur, der counterculture, beschäftigt. Siehst du da eher die hyperkapitalistische Hauptstadt oder den Rest des Landes als idealen Nährboden dafür?
Sowohl als auch. London frisst die Ressourcen des restlichen Landes, so dass dieses ausgezehrt und verlassen zurückbleibt. Aber so entsteht auch ein starker visueller Kontrast und tatsächlicher Antagonismus zwischen dem Londoner Zentrum und seiner Umgebung. Die ärmeren Städte ertragen Londons zentralisierte Opulenz mit einer Ressourcenverknappung—und ähneln dabei London sehr stark. Die Lebhaftigkeit der counterculture ist in beiden Umgebungen bitter nötig.

Ok. Noch was: Schon heute leben viele britische Produzenten außerhalb Großbritanniens, etwa in Berlin. Was meinst du, wie sieht das in der Post-Brexit-Zukunft aus?
Die Unsicherheit ist das einzig Sichere gerade. Die Wahlen in ganz Europa werden dieses Jahr die Landkarte weiter verändern. Und wir werden bis zumindest 2020 eine Regierung haben, die die strenge Sparpolitik weiter verfolgen wird—sofern es nicht spontane Wahlen gibt und die Opposition gewinnt. Manche bezeichnen London als ein sinkendes Schiff, wobei ich mir nicht sicher bin, ob dem wirklich so ist. Falls es jedenfalls doch der Fall ist, dann ist es wohl wichtig, zunächst das Sinken zu verhindern, bevor man sich entscheidet, von Bord zu gehen.

Danke, Manni!

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