"Mit GAS auf Heavy Rotation kannst du in eine musikalische Opiumhöhle abtauchen"

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"Mit GAS auf Heavy Rotation kannst du in eine musikalische Opiumhöhle abtauchen"

Kompakts Wolfgang Voigt lässt es unter dem Namen GAS wieder kräftig rauschen. Wir haben mit dem Meister für einen Moment den Nebel aus dem Ambient-Techno-Wald getrieben.

"Hier gehört noch so ein Absorber rein." Kalt hallt Wolfgang Voigts Kölsche Stimme von den Wänden des Hotelkonferenzsaals. Der Kompakt-Mitbetreiber prüft erstmal die Akustik. Draußen bollert die Frühlingssonne, während es Voigt gestern noch ohne "gerade Bassdrum" im Kraftwerk Berlin probiert hat. Mit seinem Projekt "Rückverzauberung" trat er live bei der MaerzMusik auf, heute müssen wir über den Vorgänger dieser Musik reden: GAS.

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17 Jahre nach dem letzten regulären Album und 9 Jahre nach einer großen Box mit einigen Neubearbeitungen, lässt der Kölner nämlich an sein bekanntestes musikalisches Alias wieder aufleben. Und damit wandelt der Techno-Schrat einmal mehr durch den Ambient-Wald und rettet deine schlaflosen Nächte. Denn kaum eine Musik legt die Zuckerlinie von blauer Stunde bis Morgenrot so schön wie GAS. Diese Tracks machen was mit dir, das gilt auch für die neuen Stücke des jetzigen Albums Narkopop.

Voigt sagt dazu Sätze wie: "Ich glaube, dass man in der elektronischen Musik sehr gut altern kann", oder: "Ich habe in der Regel zu viel künstlerische Energie, mir wird sehr schnell langweilig." Das Halstuch sitzt akkurat, seine Hände unterstreichen seine Worte und finden dann immer wieder in ihre Grundhaltung zurück: einander gegenüber, die Fingerspitzen gegeneinander gedrückt – fast schon staatsmännisch.

Dabei kreist unser Gespräch um Themen, für die die große Politik keine Zeit hat: Nebelwanderungen, Opiumhöhlen, plötzlich auftauchende Gebäude – und warum Wolfgang Voigt genau immer dann mit GAS zurückkommt, wenn du ihn und seine Musik am meisten brauchst …

THUMP: Wolfgang, 2008, als du GAS für die Nah und Fern-Box das letzte Mal wieder aufleben lassen hast, grassierte gerade eine förmliche Minimal Techno Epidemie.
Wolfang Voigt: Ja, kann man so sagen.

Damals hast du dich mit GAS teilweise bewusst gegen diese Dominanz positioniert. Ist es jetzt ein Zufall, dass du das Projekt zu einer Zeit reaktivierst, in der es mit Tech-House wieder so alles einen dominierenden Stil gibt?
Das hat mit meiner künstlerischen Perspektive nichts zu tun. Ich bin – gerade auch wegen meines eigenen künstlerischen Schaffens – überaus unterinformiert über andere Musik. Gleichwohl bin ich in unser Kompakt-Label eingebunden und bekomme darüber bisweilen solche Diskurse durch andere mit. Eine Aversion habe ich jedenfalls nicht gegen diesen Sound. GAS wiederum hat zwangsläufig immer einen diskursiven Aspekt. Da komme ich gar nicht raus, auch wenn ich es im Einzelfall gar nicht so meine. Bis heute ist es ein auch ambienter Seitenausleger von Techno, in dem nur noch die gerade Bassdrum hin und wieder als Element vorkommt.

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Dazu passt, dass Ambient derzeit wieder ein viel diskutierter Begriff ist. Als Huerco S., mit dem du in London zusammenspielen wirst, im letzten Jahr sein neuestes Album veröffentlicht hat, konnten sich viele anfangs noch nicht mal darauf einigen, ob das nun überhaupt Ambient sei – oder nicht. Am Ende galt es als beste Ambient-Platte des Jahres …
Die Leute brauchen die Headline und auch die gute alte Schublade. Dagegen will ich nichts sagen, es handelt sich schließlich auch um eine Orientierungshilfe. Als wir den GAS-Katalog auf iTunes gebracht haben, mussten wir meine Musik zum Beispiel ja auch genremäßig benennen.

"Das Wiederanknüpfen an GAS ist auch eine Form des Anerkennens an den zeitlosen Wert dieser Musik. Über die Jahre hat sich einfach erwiesen, dass eine große, stabile und auch nachwachsende Fanbase für GAS gibt."

Für was hast du dich entschieden?
Irgendwas zwischen "Ambient" und "Electronica". Auf jeden Fall nicht "Techno". Ich selbst würde noch eine Menge anderer Begriffe für die GAS-Musik finden, aber das ist am Ende gar nicht so wichtig.

Dabei bist du mit über 20 Alias jetzt auch nicht gerade schlecht in der Namensfindung.
Ja, das ständige Neuerfinden von Projektnamen und Konzepten war und ist meine ungebrochene Leidenschaft. Von daher finde ich sehr spannend, dass ich – als stets unruhiger Geist – mich nun mit Gas wieder innerhalb bestimmter, geschlossener stilistischer Grenzen bewege. GAS steht für ein bestimmten audiovisuellen Kosmos, für eine bestimmte Musik – und das muss auch so sein. Ich versuche hier, eine Geschichte weiterzuerzählen, die schon vor über 20 Jahren begann, und hoffe, dass die Leute diesen unmittelbaren Bezug durch die Jahre hindurch erkennen.

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War das dann nicht auch eine große Hürde, als du dich jetzt nach 2008 erneut an GAS herangewagt hast?
Nein, es war einfach an der Zeit, sich wieder in diesen Raum zu begeben; sich wieder mit dieser Welt zu vernetzen, ohne so viele neue Fragen stellen zu müssen. Das Wiederanknüpfen an GAS ist auch eine Form des Anerkennens an den zeitlosen Wert dieser Musik. Über die Jahre hat sich einfach erwiesen, dass eine große, stabile und auch nachwachsende Fanbase für GAS gibt. Das ist für mich eine interessante Herausforderung, weil ich eigentlich offene Enden den Festlegungen vorziehe.

Das heißt, GAS anno 2017 beschäft sich vor allem mit GAS?
GAS ist ein sehr persönliches musikalisches Tagebuch, das sich schon immer sehr stark mit sich selbst beschäftigt hat. Aufgrund der Wahrnehmung von Fans und Medien ist aber automatisch eine Festschreibung da. Früher hätte ich stärker nach Verknüpfungen nach außen gesucht. Heute sage ich erstmals ganz entspannt: GAS ist GAS.

Du hast gerade von einem Tagebuch gesprochen. Wie muss ich mir denn einen GAS-Tag vorstellen?
Da wird eine bestimmte Aura, ein Gefühl reproduziert. Heute etwa haben wir einen sonnigen Montagmorgen in Berlin – das ist der klassische "Nicht-GAS-Tag", denn GAS ist: düster, November, verregnet; ein nebulöser grauverhangener Spaziergang durch einen Wald unbekannter Herkunft. Auch wenn hier und da eine Lichtung kommt.

"Der klassische 'GAS-Tag' ist: düster, November, verregnet; ein nebulöser grauverhangener Spaziergang durch einen Wald unbekannter Herkunft. Auch wenn hier und da eine Lichtung kommt."

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Dennoch reden wir hier eher von einem abstrakten Wald …
In der Tat. Der Wald, der in GAS zum "Klingen" kommt, ist die visuelle Übertragung einer musikalischen Idee und bezieht sich irgendwo nur auf Struktur und Oberflächenbetrachtung. Mir geht es nicht um eine verzückte Naturromantik, wie es etwa in der kunstgeschichtlichen Romantik der Fall war. Dieser Wald ist kein persönlicher Sehnsuchtsort mit fester Adresse. Er kann auch auf einem anderen Planeten stehen oder unter einem riesigen Betonhimmel. Das gilt es herauszufinden.

Apropos, jetzt erspähe ich auf dem Narkopop-Albumcover sogar ein Stück Hausfassade. Hat der Concrete Jungle bei dir Einzug gehalten?
Auch wenn die früheren GAS-Cover oft vermeintlich eindeutig reine Waldfotografien waren, so lag da immer noch etwas Anderes dahinter. Ich habe immer diese Assoziation zwischen Wald und Disco proklamiert, zwischen dem Morgenspaziergang durchs Unterholz und dem Tanz im Strobo-Nebel. Der GAS-Wald hatte immer schon einen weltlichen, architektonischen Aspekt, der jetzt sichtbarer zu werden scheint. Aber frag mich nicht, warum und wie das kam. Diese Elemente waren plötzlich da, als ginge es dem Wald darum, zu sagen …

Moment, der Wald spricht zu dir?
Aber nein. Ich bin fern von jeder Esoterik. Jedoch wohnt dem ganzen Projekt schon immer etwas sehr Rauschhaftes und Fantasieanregendes inne. Durch die starke Verdichtung sehen viele Leute in diesen Bildern und der Musik Dinge, von denen sie nicht sagen können, ob die wirklich da sind.

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"Dem ganzen Projekt wohnt etwas sehr Rauschhaftes und Fantasieanregendes inne. Viele Leute sehen in den Bildern und der Musik Dinge, von denen sie nicht sagen können, ob die wirklich da sind."

Wie wichtig sind denn diese Referenzen zu klassischer Musik bei GAS heute? Ich muss gestehen: Ich habe keine Ahnung von dieser Musik …
Das finde ich sehr gut. Es wurde bereits viel zu diesem Bezug gesagt. Früher habe ich gerne Referenzen wie Wagner und Schönberg genannt, weil ich die meine experimentelle Vernetzung damit aufzeigen wollte. Aber das wurde dann oft überbewertet oder hat manche Leute als intellektueller Background überfordert. Ich komme allerdings von der Pop-Musik und für mich ist das alles Popkultur.

Und die Samples?
Spielen in diesem Sinne nicht mehr die Rolle. Dieser Klangkosmos aus Geigen, Bläsern und Hörnern basiert deutlich mehr auf einer gewissen Art von Eigenbau. Ich habe eine Mischung betrieben, aus dem Zugriff auf beliebige abstrakte Quellen unbekannter Herkunft und Aura, die ich dann wie ein Maler, der seine Farben anmischt, bevor er das Bild malt, erst einmal für mich modifiziert und verrührt habe.

Charakteristisch für GAS war ja auch immer das Sample-Rauschen. Das ist jetzt weg.
Das lag an der grottenschlechten Qualität der Vinylplatten, von denen ich damals heruntersampelte. Heute habe ich eine modernere, auch technisch bedingt andere Klangvorstellung, aber ich behaupte: Das Rauschen ist dennoch, wenn auch nicht vordergründig, da. GAS rauscht immer, das liegt in der Natur der Sache.

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Speaking about Rausch: Wie verträgt sich das alles mit Drogen?
Kommt auf die Drogen an, denke ich. Für mich persönlich ist die Musik die Droge. Auch wenn meine psychedelischen Selbstversuche in jungen Jahren sicherlich Einfluss auf mein späteres musikalisches Schaffen gehabt haben. Ich glaube jedenfalls sehr wohl an den bewusstseinserweiternden Effekt von LSD und Drei-Tage-wach. Allerdings brauche ich keine Drogen, um so eine Art Musik zu machen. Wobei ich zum Beispiel viel anfangen kann mit dem Maler Jackson Pollock, der nach zwei Flaschen Whisky großartige Bilder schuf.

"Ich glaube sehr wohl an den bewusstseinserweiternden Effekt von LSD und Drei-Tage-wach. Allerdings brauche ich keine Drogen, um so eine Art Musik zu machen."

Ist die GAS-Musik denn als Rauschmittel gedacht? Man kann mit den nunmehr fünf Alben schon eine lange Zeit im Wald verbringen.
Das muss jeder für sich selbst erfahren. Ich habe über all die Jahre hinweg immer wieder viel Feedback erhalten, wo Leute auch dezidiert rauschhafte Zustände beschreiben. Mit dem Hören von GAS-Musik auf Heavy Rotation kannst du in eine musikalische Opiumhöhle abtauchen, was durchaus in meinem Sinne ist. Das steckt in der Musik, auch wenn ich das im Begleittext nicht mitliefere.

Noch mal zu den Referenzen: Dir ging es ja mit GAS auch darum, deutsche Pop-Musik als solche positiv zu besetzen. Durch das Aufkommen der AfD wird derzeit auch wieder viel über deutsche Kultur und Identität diskutiert. Ist es auch wieder nur ein Zufall, dass du genau jetzt ein GAS-Album vorlegst?
GAS ist ein Gegenentwurf zur Realität und keinesfalls so etwas wie Tagespolitik. Das ist immer eine kleine Flucht mit sich selbst, durch sich selbst; eine Einladung in eine andere Welt. Als junger Mensch habe ich sehr gerne an Diskursen zu deutschen Kulturmythen- und klischees teilgenommen. Aber immer aus der Perspektive westlicher Pop-Subkultur und geprägt durch diese. Bei GAS ging es, ganz salopp, darum: Wie kann ich Wagner in die Disko holen? So wie Andy Warhol mit Marilyn Monroe in der Kunst. Das letzte was GAS ist, ist ein politischer Kommentar. Im einfachsten Fall ist es einfach nur schöne Musik mit einem hohen Abdriftfaktor, auf die du dich einlassen kannst.

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Außerweltliche Musik …
Ich würde sogar "kosmisch" sagen. Seitdem diese architektonischen Elemente auf dem Cover erschienen sind, fühle ich mich eher wie auf einem anderen Stern. Der GAS-Balkon ist in einen nebulösen Wald entflogen, von dem ich nicht weiß, wo er steht.

Darf ich bei GAS eigentlich auch lachen?
Humor spielt in meiner künstlerischen Arbeit of eine Rolle, bei GAS allerdings vorzugsweise nicht. Das hat eben mehr mit Abgründen, mit Deepness und Düsternis zu tun, gerne auch mit pathologischen Aspekten, Angst und den dunklen Seiten von Rausch. Jeder weiß, was ein Horrortrip ist.

"GAS hat mit Abgründen, mit Deepness und Düsternis zu tun, gerne auch mit pathologischen Aspekten, Angst und den dunklen Seiten von Rausch. Jeder weiß, was ein Horrortrip ist."

Ist Narkopop also das Horroralbum von GAS?
Nein. GAS handelt immer von der Gleichzeitigkeit von düster und hell, schwer und leicht, harmonisch und disharmonisch, nah und fern …

Eine letzte Frage noch an dich, als leidenschaftlicher Namensfinder: Welcher Name fällt dir denn für die GAS-Musik noch ein?
Narkopop.

Danke, Wolfgang!

GAS Narkopop ist auf Kompakt erschienen.

GAS live:
28.04. Krems – Donaufestival
30.04. Frankfurt a.M. – Mousontum
03.06. Barcelona – Primavera
10.06. Bonn – Bundeskunsthalle
23.06. Mailand – Terraforma
03.08. Amsterdam – Dekmantel Festival
20.08. Kampnagel – Hamburg
09.09. Berlin – Funkhaus

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