Nach der Schießerei beim BPM: Wie Drogenkartelle und Korruption Mexikos Festivalszene bedrohen
Photo of BPM Festival by aLIVE Coverage/BPM

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Nach der Schießerei beim BPM: Wie Drogenkartelle und Korruption Mexikos Festivalszene bedrohen

Die Folgen der Morde können weitreichend sein – auch wenn die Hintergründe noch ungeklärt sind.

Am Montag endete das BPM Festival, eines der herausragendsten Electro-Festivals Mexikos, mit einer blutigen Schießerei. Fünf Menschen starben. 15 weitere wurdenverletzt. Der Vorfall ereignete sich in einem Club in Playa Del Carmen, einem der beliebtesten Touristenziele der mexikanischen Karibikküste. Dies gefährdet die Zukunft mexikanischer Dance-Festivals, denn als Reaktion auf die gestiegene Gewalt im Zusammenhang mit organisiertem Verbrechen in der beliebten Region Riviera Maya fordern die örtlichen Behörden jetzt bis auf weiteres ein Verbot anstehender Veranstaltungen.

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Vier Tage nach dem Vorfall wissen die Behörden immer noch nicht, was genau gegen 2.30 Uhr am Montagmorgen passierte, als ein bewaffneter Mann am letzten Abend des Festivals in einen Club eindrang. Gestern sagte der Staatsanwalt von Quintana Roo, Miguel Angel Pech Cen, dass die örtlichen Ordnungskräfte drei verschiedene Ermittlungsstränge verfolgen, die auf Erpressung, Drogenhandel oder eine gezielte Hinrichtung hinweisen. Doch während die Autoritäten noch daran arbeiten, das Motiv zu ermitteln, bedroht die Schießerei vom Montag bereits die Zukunft der Livemusikszene der Stadt. Lokale Offizielle und Betriebe bringen ihre Ablehnung gegenüber einer Rückkehr des Festivals im nächsten Jahr zum Ausdruck. Dies offenbart auch die komplexen Spannungen zwischen einer boomenden Musiktourismus-Industrie, dem organisierten Verbrechen und der öffentlichen Sicherheit.

"Wir wollen Jobs schaffen, aber in einer freundlichen und gesunden Umgebung, in der Familien – diejenigen, die hier leben – in Frieden leben können", so Maria Elena Mata, Präsidentin einer örtlichen Vereinigung, die Gewerbetreibende aus der Region vertritt, bei einer Pressekonferenz am Montag. "Wir bitten auch darum, und darauf haben wir eine positive Reaktion erhalten, dass diese Art von Veranstaltungen von hier verschwinden, dass wir sie nicht mehr erlauben. Wir wollen kein BPM mehr und auch keine anderen Veranstaltungen wie diese." Mata fügte hinzu, dass die Gegend hoffe, eine andere, "gesündere" Art von Klientel anzuziehen.

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Das plötzliche, resolute Vorgehen der Autoritäten gegen Dance-Festivals – eine Industrie, die im Bundesstaat Quintana Roo im letzten Jahrzehnt an Momentum gewonnen hat – ist eine Folge der Tode von drei Ausländern und zwei Mexikanern bei der Schießerei. Zwei der Toten gehörten zum Team des Festivals. Kirk Wilson aus Kanada war in dieser Nacht Security-Chef des vom BPM veranstalteten Event im Blue Parrot; Daniel Pessina aus Italien war im Organisationsteam des BPM; Geovanni Francisco Ruiz Murillo aus dem Bundesstaat Veracruz in Mexiko soll auch für das Festival gearbeitet haben. Der Festivalbesucher Rafael Antonio Peñaloza Pega, ebenfalls aus Veracruz, starb, nachdem er in ein nahegelegenes Krankenhaus eingeliefert wurde, und die US-Bürgerin Alejandra Margarita Villanueva Ibarra starb in der Massenpanik, als die Leute aus dem Club flohen.

Foto vom Äußeren des Blue Parrot Clubs von Aleks OI/THUMP

Die Schüsse wurden zuerst gegen 2.28 Uhr auf der Avenida 12 gemeldet, ein paar Blocks vom Club entfernt, so Staatsanwalt Pech am Dienstag im örtlichen Fernsehen. Ein bewaffneter Mann versuchte, ins Blue Parrot zu gelangen, so Pech. Als die Security versuchte, ihn zu stoppen, eröffnete er das Feuer. Zusätzlich zu den Toten wurden 15 Menschen verletzt, die meisten infolge der Massenpanik. Ein paar, die ins Kreuzfeuer gerieten, erlitten Schusswunden. Der Schütze floh und wurde bis jetzt nicht gefasst.

Während der Pressekonferenz am Montag sagte die Bürgermeisterin Cristina Torres, dass es im Zuge der Vorbereitungen des Festivals Spannungen zwischen der Stadt und den Festivalorganisatoren gegeben habe, die sich laut ihrer Aussage mit neuen, strikteren Sicherheitsvorgaben schwer taten, die von der Stadt eingeführt wurden. BPM hat auf THUMPS Bitte um einen Kommentar zu den angeblichen Sicherheitsbedenken nicht reagiert. Torres bedauerte außerdem, dass staatliche und bundesstaatliche Autoritäten das Problem des Drogenhandels in Playa del Carmen nicht früher angesprochen haben, so eine lokale Nachrichtenagentur. Dazu gehöre auch der weiterverbreitete Kokainhandel.

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Die lokale Nachrichtenseite Noticaribe bringt die Schießerei mit einer örtlichen Gruppe des organisierten Verbrechens in Verbindung, die als Golf-Kartell bekannt ist. Mit Bezug auf inoffizielle Quellen schreibt die Seite die Schießerei Drogenhändlern zu, denen nicht erlaubt wurde, bei der Veranstaltung Geschäfte zu machen. Daraufhin hätten diese sich gerächt, indem sie einen Auftragskiller auf den Organisator ansetzten. Andere lokale Medien brachten die Schießerei mit Los Zetas in Verbindung, einem Kartell, das von der US-Regierung als eines der gefährlichsten des Landes bezeichnet wurde. THUMP konnte diese Information nicht bestätigen, die Ermittler scheinen dies jedoch in Betracht zu ziehen.

Eine schnelle Internetsuche offenbart diverse Kommentare in Online-Foren, in denen Gäste des BPM von "ungezügeltem" Drogenhandel in den verschiedenen Clubs des Festivals berichten, hauptsächlich auf den Toiletten. "Das BPM wird als Festival gesehen, das besonders etwas für Drogenkonsumenten ist", so ein Hotelbesitzer im nahegelegenen Tulum, der anonym bleiben will, gegenüber THUMP. "Wenn so viele Drogen und Touristen aufeinandertreffen, war dies praktisch vorprogrammiert."

Druck von Kartellen, den Verkauf von Drogen bei Events zuzulassen, ist bei Veranstaltern in Mexikos Nachtleben eine Art offenes Geheimnis. Ein Veranstalter von der Halbinsel Yucatán sagte Reuters diese Woche, dass er vor Kurzem bei einer seiner Veranstaltungen bewaffneten Männern Zutritt gewährte, damit sie Drogen verkaufen konnten, um den Frieden zu wahren.

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Foto einer Beileidsbekundung am Ort der Schießerei von Aleks OI/THUMP

Das BPM wurde vor zehn Jahren von zwei Kanadiern ins Leben gerufen, Craig Pettigrew und Philip Pulitano, und hat sich seitdem zu einer Zusammenkunft mit mehr als 70.000 Besuchern aus aller Welt vergrößert. Über die Jahre hatte das Festival internationale Top-Headliner wie Guy Gerber, Maceo Plex und Seth Troxler zu bieten. (THUMP hat in der Vergangenheit als Medienpartner mit dem Festival zusammengearbeitet). Vor dem BPM fanden bereits andere Festivals wie das Riviera Maya Jazz Festival im Gebiet statt, dem BPM wird jedoch zugeschrieben, die Grundlagen für die florierende Dance-Szene der Region gelegt zu haben.

Im Laufe des letzten Jahrzehnts ist die mexikanische Halbinsel Yucatan, auf der Touristenzentren wie Playa del Carmen, Cancun und Tulum zu finden sind, langsam zu einem Ziel für Festivalbesucher geworden, die auf der Suche nach elektronischer Musik, Mezcal-Cocktails und türkisem Wasser sind. Ein Veranstalter nach dem anderen hat sich an der bekannten Riviera Maya niedergelassen und alle profitieren vom nahegelegenen Flughafen von Cancun, dem zweitgrößten Transportknotenpunkt des Landes, sowie von einem wachsenden Netzwerk aus Ferienresorts, die laut dem mexikanischen Tourismusministerium 2015 mehr als sieben Millionen Buchungen verzeichneten.

Doch jetzt sind sowohl große als auch kleine Festivals von einem potenziellen Verbot solcher Veranstaltungen bedroht. Im Januar 2016 initiierte das MagazinXLR8R sein erstes "Boutique Festival" überhaupt in Tulum, bei dem Künstler wie Mike Shannon, Dauwd, Clovis, Dewalta, Roam und Rob Garza dabei waren. Das Arena Festival in Playa del Carmen, das sich selbst als "größtes schwul lesbisches Dance-Musik-Festival" beschreibt, sollte die diesjährigen Feierlichkeiten am 1. Februar einleiten und die Mayan Madness, ein Reiseziel des Spring Break mit "weißen Sandstränden und makellosem Wasser", sollte am 15. April beginnen. Die Organisatoren des Arena brachten am Montag mit einem Facebook-Post ihre Zweifel zum Ausdruck, teilten Ticketinhabern jedoch nicht mit, ob das Festival abgesagt wird oder nicht.

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Ein anderer Ermittlungsstrang bezüglich der Schießerei konzentriert sich auf eines der beiden mexikanischen Opfer, wie Staatsanwalt Pech sagte. Auf dem Überwachungsvideo des Clubs ähnelt der Angriff des Schützen einer Tötung im Stile einer Hinrichtung. "Die Person drang ein, um den mexikanischen Bürger aus Veracruz direkt zu erschießen und hinzurichten", so Pech im Fernsehen. Er fügte hinzu, die Familienmitglieder des Opfers hätten den lokalen Behörden gesagt, der Erschossene stünde mit "jemand wichtigem" in Verbindung – einem öffentlichen Angestellten aus Veracruz. Der Bundesstaat ist für sein hohes Niveau an Korruption sowie Verbrechen im Zusammenhang mit Drogen bekannt.

"Falls die Medien die Schießerei in Cancun aufgreifen und es in den nächsten paar Tagen weitere Vorfälle gibt, dann bin ich sicher, dass sich dies auf den Tourismus auswirken wird." – Ein Hotelbesitzer in Tulum

Die Behörden untersuchen außerdem, ob der Angriff in Zusammenhang mit Erpressung stand oder nicht. Pech sagte, dass die Organisatoren und örtliche Gruppen des organisierten Verbrechens sich vielleicht nicht auf den derecho de piso einigen konnten, einen Zoll, der manchmal von örtlichen Geschäftstreibenden verlangt wird, damit sie ohne weiteres Eingreifen seitens der Kartelle arbeiten können.

Der Bundesstaat Quintana Roo, in dem sich Playa del Carmen befindet, hat eine der geringsten Mordraten in Mexiko und liegt in dieser Statistik auf Platz 25 der 32 Staaten. Zwischen Oktober 2015 und September 2016 wurden 159 Fälle gemeldet. Gruppen des organisierten Verbrechens sind in Touristengegenden wie Cancun, Playa del Carmen und Tulum zwar aktiv, halten sich jedoch eher im Hintergrund. Der Tourismus in diesem Bundesstaat ist auch für die Regierung eine große Einkommensquelle und die Behörden sind darauf bedacht, Verbrechen in der Region verdeckt zu halten. "Es ist sehr wichtig für die Regierung, [diese Gegend] sicher zu halten", so einer der Angestellten desselben Hotels in Tulum, der ebenfalls unter der Bedingung, anonym zu bleiben, mit THUMP sprach.

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Doch ein Anstieg der Gewalt – die örtliche Mordrate ist seit 2015 um 13,2 gestiegen – und eine Reihe an viel beachteten Vorfällen in der Riviera Maya haben Mexikos Vorzeige-Ziele und die florierende Tourismus-Industrie des Landes erschüttert. Erst am Mittwoch brach eine zweite Schießerei vor dem Büro des Staatsanwalts von Quintana Roo in Cancun aus, bei der vier Menschen starben, unter anderem auch ein 25-jähriger Polizeibeamter. Die Behörden glauben, dass der Angriff in Verbindung mit organisiertem Verbrechen steht, äußerten sich jedoch nicht, ob er mit der Schießerei beim BPM zusammenhängt, berichtete Associated Press.

"Falls die Medien die Schießerei in Cancun aufgreifen und es in den nächsten paar Tagen weitere Vorfälle gibt, dann bin ich sicher, dass sich dies auf den Tourismus auswirken wird", so der Besitzer des Hotels in Tulum. "Wir wissen nicht, ob es mit dem zusammenhängt, was passiert ist, aber wir haben bereits zwei Stornierungen zukünftiger Buchungen."

Ein Angestellter desselben Hotels fügte hinzu, dass die Wahl eines neuen Gouverneurs im Bundesstaat Quintana Roo im Juni letzten Jahres zu einer politischen Instabilität und einer besonders angespannten Atmosphäre geführt habe. In Mexiko haben Wahlen oft einen Anstieg der Gewalt zur Folge, da neue Politiker und Obrigkeiten versuchen, sich selbst zu etablieren. "Der neue Gouverneur stellt sich gegen viele Dinge, die unter der vorherigen Regierung im Gang waren", so der Hotelangestellte. "Ich denke, dieser [Anstieg der Gewalt] ist ein Teil davon."

Die weitgehende Straffreiheit in Mexiko – laut des Zensusbüros INEGI werden aus Angst vor Vergeltung von korrupten Beamten weniger als 7% aller Straftaten den Behörden gemeldet – in Kombination mit dem Fehlen eines starken Justizsystems im Land bedeutet, dass der Status Quo sehr fragil sein kann.

Selbst im "Jetset"-Tulum haben die Clubinhaber laut des Hotelangestellten keine andere Wahl, als das organisierte Verbrechen bis zu einem Gewissen Grad in ihr Geschäft eingreifen zu lassen, ob es nun dadurch ist, dass die Kartelle auf dem Grundstück eines Betriebs Drogen verkaufen dürfen oder sie ihnen Erpressungsgeld zahlen. "Denn wenn du das nicht tust", so sagt er, "dann passiert erneut das, was in Playa del Carmen passiert ist."

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