"Lieber tanz' ich als G20" war der komplette Gegenentwurf zum Gipfelchaos

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"Lieber tanz' ich als G20" war der komplette Gegenentwurf zum Gipfelchaos

Wir haben in Hamburg zwischen Parolen wie "Alles allen!" und "Spaß kann auch Politik!" mitgeravt.

Alle Fotos von Rebecca Rütten

Es ist 18 Uhr und alles wartet auf Berlin. Hunderte Tanzfreudige stehen um die wartenden Umzugswagen. Musik schallt aus Lautsprechern, die Sonne scheint, die Stimmung an den Landungsbrücken ist ausgelassen.

Etwa eine Stunde später – die Berliner*innen sind mittlerweile angereist – zieht die Demo los durch Hamburg. Motto: "Lieber tanz' ich als G20". Eine riesige Menschenschlange setzt sich in Bewegung. Sie ist überraschend groß.

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"Wir hatten ja mit 3.000 Menschen gerechnet", schallt es vom Sea-Watch Wagen, "aber wir gehen davon aus, dass durch die Polizeigewalt der letzten Tage einfach noch viel mehr Leute ihren Unmut kundtun wollten." Auf 20.000 kommen die Veranstalter*innen am Ende, 11.000 zählt die Polizei. Nicht nur aus Hamburg und Berlin ist man angereist. Französisch und Englisch ist zu hören.

Der Unmut der hier Anwesenden richtet sich aber vor allem gegen den am Freitag beginnenden G20-Gipfel. Und das, anders als bei den noch zu erwartenden Protesten, tanzend. "Die positive Form des Protests ist ganz wichtig", meint Felix, der mit blauer Sonnenbrille zu deftigen Beats des Alles Allen Allstars-Wagens groovt. "Ich mag das Bild nach außen hin, dass es eben auch ohne Gewalt geht und alle ihren Spaß haben."

Doch nicht jeder sieht das so. Einige ärgern sich ein bisschen über den Andrang. Es sei zu voll, das mache es schwierig, sich in der Masse positionieren zu können. Gerade von außen könne es jetzt doch heißen, die Leute seien nur hier, weil es ´ne Party gibt.


Aus dem VICE-Videonetzwerk: Unterwegs bei Europas größtem Nationalisten-Treffen:


"Ist doch völlig egal, weshalb wir hier sind", entrüstet sich Maria, eine der tanzenden Demonstrantinnen. "Musik ist auf Demos generell üblich. Hier ist sie eben nur lauter." Klar, eine Positionierung erleichtere das nicht gerade, aber insgesamt freut es sie, dass die Leute für die Sache

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Da schallt es aus einem Lauti: "Spaß kann auch Politik machen!"

Inzwischen ist der Zugkopf von der Reeperbahn in die Budapester Straße eingebogen, während der hintere Teil noch nicht einmal die Reeperbahn erreicht hat. Überall auf der Route stehen Schaulustige an ihren Fenstern, auf Dächern oder am Rande des Straßenrands. Sie wippen mit, machen Fotos, bejubeln die bunte Masse. Vereinzelt wird der Zug mit Feuerwerk begrüßt, es regnet Konfetti aus manchen Häusern. In einem Wagen, der "Superbude", verkaufen zwei junge Männer holprig eingeschenkte und halb verschüttete Getränke.

"Alles …"

"Zeigen wir, tanzend, feiernd, lachend, dass wir uns nicht fügen. Dass wir eigene Träume für die Zukünfte haben und nicht gewillt sind, lahmgelegt zu werden." So stand es im Facebook-Aufruf der Veranstaltung. Jetzt, auf der Straße heißt die Losung: "Alles allen!" Man fordert die "Abschaffung der nationalen Staaten, Überwindung der Geschlechterverhältnisse, Revolutionierung der Eigentumsverhältnisse."

Oft wird auch auf den Schlafmangel einiger Demonstrierenden durch den rigorosen Einsatz der Polizei in den letzten Nächten hingewiesen. Schlafentzug sei auch Folter, heißt es dann. Als Entschädigung wird der Ruf nach Amphetaminen laut. "Ich sehe hier in den letzten Tagen Rechte eingeschnitten, wo ich nicht dachte, dass das in Deutschland passieren kann", sagt Jan am Entropie-Wagen.

Zur allgemeinen Überraschung ist das Polizeiaufgebot für den hedonistischen Zug aber gering. Vereinzelt stehen uniformierte Grüppchen mit hellblauen Westen an den Rändern des Protestmarschs. Zwei Beamtinnen lassen sich sogar mit einer Gruppe Schlümpfe fotografieren.

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"Das sieht ja fast süß aus", meint ein Protestierender. Fast wirkt es so, als ob die Einsatzkräfte ein bisschen zum Superlover Remix von "Highness" tanzen würden, der gerade aus dem Sea-Watch Lauti tönt. Leisten könnten sie es sich – viel zu tun ist nicht, die Menschenmenge bleibt beim friedlichen Tanzen. Unschön sind allerdings die zahlreichen Bier- und Mateglasflaschen, die hinter dem Zug eine Spur an Scherben hinterlassen.

Bald wird der Zug sein Ende erreichen, Protestlerin Sinja gönnt sich eine Pause: "Die Frage ist doch: Wie kann man denn Hedonismus und Protest nicht miteinander verbinden?! Es ist es doch gut, dass ich ganz egoistisch meinen Spaß haben kann, während ich gegen etwas protestiere, was ich kacke finde – wie den G20-Gipfel!"

Spaß haben die Teilnehmer*innen noch bis 23 Uhr, dann wird die Demo, wie verabredet, aufgelöst. "Passt auf euch auf!" Manche bleiben noch, weil die Beginner und Samy Deluxe unangekündigt auftreten, anderen gehen ins Gängeviertel cornern.

Ein Aufruf hallt später noch nach:

"Wir fordern nicht mehr, als die Abschaffung des Kapitalismus. Sollte das nicht möglich sein, dann fordern wir die Legalisierung der Drogen, die wenigstens den Kapitalismus erträglich machen!"

Das würde auch die ganzen Scherben vermeiden. An Tütchen kann sich schließlich niemand schneiden.

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