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auf der suche nach atlantis

Warum Alan Walkers „Faded” so verdammt erfolgreich ist

Wir haben den #1-Hit lange nicht verstanden. Bis jetzt. Eine Analyse.

Der 18-Jährige Alan Walker aus Bergen in Norwegen ist mit „Faded" seit zehn Wochen am Stück an der Spitze der deutschen Charts. Du dürftest den Song also bereits mindestens einmal im Radio, im Kaufhaus oder durch die Kopfhörer deines Sitznachbars in den Öffentlichen gehört haben. Auch andernorts ist „Faded" erfolgreich. Etliche Millionen mal wurde der Track „shazamt" und Hardwell hat sogar einen Remix des Stücks angefertigt.

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Was du vielleicht nicht weißt: Ursprünglich war „Faded" nur eine instrumentale Version mit nervigen Drums. Für den jetzigen Gassenhauer hat Alan Walker nicht nur die Komposition überarbeitet, sondern auch noch die norwegische Sängerin Iselin Solheim engagiert und ihr ein paar nachdenkliche Zeilen mit auf den Weg gegeben. Und er hat ein Musikvideo machen lassen, in dem ein einsamer junger Typ mit Rucksack und Tuch vor dem Gesicht durch verlassene Felder und Ruinen irgendwo in Estland streift. 180 Millionen mal wurde das bereits auf Youtube geklickt. Track und Video müssen also einer großen Zahl an Menschen irgendwie aus der Seele sprechen.

Aber warum ist „Faded" nun ein Hit?

Auf der Suche nach der Antwort haben wir uns Schritt für Schritt Musik, Bild und Text analysiert. Passenderweise hat Alan Walker persönlich dafür bereits sein Werk Instagram-fähig aufbereitet. Los geht's!

Mit diesen Zeilen beginnt das Lied, während wir von der Kamera durch ein verlassenes Haus und ein leeres Stadion geführt werden, vor dessen Tribüne ein umgefallener Einkaufswagen liegt. Zurück im verlassenen Haus sehen wir einen Typ, der vielleicht Walker ist, vielleicht aber auch nicht, mit Kapuze und vermummtem Gesicht an einem kaputten Fenster stehen. Sein Laptop ist auch noch kurz zu sehen, bevor er ein zerfleddertes Foto aus seiner Hosentasche holt, auf dem ein altes Haus zu sehen ist.

Wow, ganz schön deep, oder? Da muss man erst mal kurz nachdenken, während einen eine melancholische Piano-Melodie weiter geleitet.

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Also: You were the shadow to my light. Rein physikalisch gesehen ist diese Aussage zweifelhaft. Wie kann ein anderer Mensch dein eigener Schatten sein? Oder verstehen wir da was nicht? Was uns Alan Walker hier möglicherweise metaphorisch sagen will, ist zutiefst romantisch: Die Verschmelzung mit dem anderen. So sehr, dass der andere quasi zu deinem Abbild wird.

Vielleicht geht es aber auch gar nicht um eine andere Person, sondern um einen selbst, dann wäre physikalisch auch alles korrekt. Ist Alan Walker etwa als Sigmund Freud auf der Entdeckungsreise durch das eigene Ich? Auf der Suche nach seinem Elternhaus? Mit einem Rucksack voller Erinnerungen? Emotionales Gepäck sozusagen? Oder geht es um verlorene Erinnerungen und der Rucksack ist leer? Bis auf den Laptop natürlich. Warum hat er den dabei? Gibt es da draußen WLAN? Wie lange hält sein Akku noch? Befindet sich das Ladegerät vielleicht in dem Haus?

Another Start, You fade away. Wie der Sysiphos, der den Stein auf den Berg rollen will, aber immer wieder scheitert und von vorne beginnt. Der Typ sucht und sucht nach dem Haus, er kann es nicht finden.

Wanna see us. Alight. Klingt, als würde Krieg herrschen. Doch wer kämpft hier gegen wen? Warum soll hier jemand in Flammen stehen? Was ist eigentlich passiert? Brennt das Haus?

„Wo bist du jetzt?" So hieß ein Lied von Echt, dieser deutschen Spät-90er Schmachtband, das sich lyrisch auf einem ähnlichen Niveau bewegte. Verzweiflung und die Angst, sich alles nur eingebildet zu haben, weil es immer weiter von dir wegtreibt und verblasst. Aber was hat er sich eingebildet? Das Haus? Oder das, wofür das Haus steht? Das tiefere Ich? Oder geht es am Ende nur ums Haus?

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Und jetzt kommt der Drop. Ohne Drop könnte Walker das ganze ja auch nicht als „Progressive House" verkaufen. Was aber Walkers besonderes Kniff ist: So sehr er auch an allen Sounds heraumschraubt, so sehr wirken Kick und Gesamteindruck doch gedämpft. Derart funktioniert die Musik trotzdem noch wie typisches EDM-Geballer und kann doch auch mal für melancholischere, ruhige Momente zu Rate gezogen werden.

Atlantis. Eine mythische Anspielung! Wieder: wow.

Die Sage von Atlantis taucht zum ersten Mal bei Platon auf, der das Inselreich als Seemacht beschrieb, die eines Tages nach einem gescheiterten Angriff auf die Stadt Athen in einer einzigen Nacht untergegangen sei. Schuld war eine Naturkatastrophe. Heute ist es wissenschaftlich umstritten, ob Platon dabei auf reale Ereignisse angespielt hat. Einig ist man sich, dass er die Theorie zur Veranschaulichung benutzt hat.

Alan Walker, der Platon des EDM, will mit Atlantis auch etwas veranschaulichen. Er benutzt die Sage als Metapher für das Verlorene Wo ist es? Was ist es? Ist es über Nacht verschwunden wie Atlantis? Ist es das Haus oder ist das Haus nur eine Metapher? Oder ein Symbol für Liebe?

Weiter heißt es: The monsters running wild inside of me. Oha, es brodelt! Das Tier im Walker macht sich bemerkbar, der Trieb ergreift den Geist.

These shallow waters, never met
What i needed
I'm letting go
A deeper dive
Eternal silence of the sea
I'm breathing
Alive

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Um die untergegangene Stadt Atlantis zu finden, muss man in das Meer springen, klar. Offensichtlich ist dieses Mal alles gut gegangen. Alive. Dass der Junge im Video hingegen während dieser Zeilen nur mit seinem garantiert nicht gesponserten Rucksack durch einsame Felder und verlassene Häuser zieht, passt dazu überhaupt nicht. Während dieser Szenen befinden wir uns im großen musikalischen Break. Die 08/15-Synthesizer unterbrechen ihre beliebige Melodie für eine langen Moment der Monotonie.

Where are you now
Where are you now
Under the bright but faded lights
You've set my heart on fire
Where are you now
Where are you now

Zum Schluss noch mal ein metaphorisches Feuerwerk. You've set my heart on fire. Wow. Geht es also doch um jemand anders? Kann man sein eigenes Herz in Flammen setzen und mit sich selbst in Liebe sein? Wäre das schon Narzissmus? Hat das Haus sein Herz in Flammen gesetzt? Wenn ja wie? Ist Alan Walker in das Haus verliebt? Ist er objektophil? (No offence!) Was bitte hat ein 18-Jähriger erlebt, dass er derartig rummosert?

Am Ende findet er die Stelle, an dem das Haus einmal stand. Erschöpft vom ganzen Rennen lässt er das Foto aus der Hand gleiten. Ende.

Fassen wir zusammen:

Das gesamte Lied durchzieht eine diffuse Emotionalität, wie man sie von Emo-Bands kennt. Es wird metaphorisch auf einen nebulösen Krieg angespielt, irgendwas ist mit dem Haus, das man aber nicht erfährt. Eigentlich passiert nichts außer einer Aneinanderreihung von pathetischen Metaphern. Dazu sieht man einen Vermummten, der vielleicht Alan Walker ist, herumstreunen.

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Die Ästhetik des Videos ist eine Mischung aus 1.Mai-Demo, Backpacker-Movie und Teenie-Drama. Nachdenkliche Sprüche mit Bilder und dazu Rucksack-EDM für die geknechteten pubertären Seelen dieser Welt.

Es ist wie bei nahezu allen erfolgreichen Pop-Songs: Es geht um eine oberflächliche Beschäftigung mit Liebe, Leid und Erinnerungen. Die allgemeinen Fragen der Menschheit also. Vermeintlich tiefsinnig. Damit können sich alle identifizieren, ohne sich wirklich damit beschäftigt haben zu müssen.

Und darum ist „Faded" so erfolgreich.

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