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Exklusive Videopremiere: Parker Ellermans düsterer Kurzfilm zu Marcel Dettmanns „Seduction“ feat. Emika

„Ich wollte Berlin-Klischees vermeiden … Berghain oder so”—Regisseur Parker Ellerman und Produzent Marcel Dettmann im Interview.

Es passiert nicht alle Tage, dass Musikvideos wie Kurzfilme aussehen—oder umgekehrt. Der in Berlin lebende Regisseur und Filmemacher Parker Ellerman hat sich nun mit dem Produzenten und Berghain-Resident Marcel Dettmann zusammengetan.

Das Ergebnis des in 2013 begonnenen Prozesses ist ein neunminütiger Film, der einerseits Dettmanns neue Single—das semi-ambiente Stück „Seduction" mit Vocals der britischen Künstlerin Emika—illustriert. Andererseits hat der Film seine eigene, tragische Narrative, die durch die Dettmann-Produktion nur noch weitere Dramatik erfährt.

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Parker Ellermans Film ist nicht die übliche Musikvideoproduktion, sondern eine eigenständige, düstere Geschichte über Lust, Fetisch, Kontrollverlust, Angst und Verfolgungswahn—alles Dinge also, die sich auch in Dettmanns Musik finden.

Im Folgenden: Unser Interview mit Ellerman und Dettmann.

Marcel Dettmann, "Seduction" feat. Emika, Ostgut Ton
Written & directed by: Parker Ellerman | Producer: Munir Abbar | Cinematography: Albrecht Silberberger | Film Editor: Rob Myers
Casting: Eva Vollmar | Starring: Cleo von Adelsheim, Sven Gerhardt, Stefano Cassetti

"Ich wollte die typischen Klischees vermeiden, die man mit der Stadt oder Marcel selbst verbindet … Berghain oder so."

Regisseur Parker Ellerman (links) und Marcel Dettmann
Foto: © Gergana Petrova / VICE

Parker, Marcel, wie habt ihr euch gefunden, um diesen Film anzugehen?
Marcel Dettmann: Wir kennen uns seit sechs Jahren, meine Frau und Parker sind sehr gut befreundet. Deshalb sind die Familien Ellerman und Dettmann mittlerweile gut befreundet. Als ich an meinem Album Dettmann II arbeitete, kam dann die Idee, zusammen was zu machen.
Parker Ellerman: Die ganze Idee wurde letzten Sommer geboren. Wir waren zusammen in den Ferien, Marcel musste arbeiten, ich habe Urlaub gemacht.
MD: Zwei Familien in einem Häuschen, das war toll.
PE: Es schien die meiste Zeit die Sonne, Marcel spielte mir dann sein damals in Arbeit befindliches Album vor. Und dann wurde es plötzlich ganz dunkel.

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War dann auch schon klar, dass ihr zu diesem Stück, „Seduction" zusammenarbeiten wollt?
Das hat sich so ergeben. Ich fand gut daran, dass es sich einerseits wie ein Filmsoundtrack anhört, nur dass es den Film dazu nicht gab. Der Gesang von Emika verleiht dem Stück auch eine starke Emotionalität. „Seduction" hat etwas sehr Surreales, das hätte auch zu einem Film passen können. Es fühlte sich an wie ein Soundtrack.
MD: Den Begriff des ‚Soundtrack' mag ich am Liebsten. Man hört ein Stück Musik, im Kopf läuft dazu der Film. Und in diesem Fall hat sich dann nicht nur eine Filmidee entwickelt, sondern es ist tatsächlich auch ein Film entstanden. Das finde ich wahnsinnig spannend—den Prozess hab' ich selbst ja noch nie miterlebt.
PE: Ich hatte Marcel in der Vergangenheit schonmal gefragt, ob er einen Soundtrack für einen meiner Kurzfilme machen will. Das war wegen seiner Reisen aber immer schwierig. Haben wir's diesmal halt umgekehrt gemacht.

THUMP Parker Ellerman Marcel Dettmann Foto Still aus Seduction | © CZAR Film 2014

All Photos: Stills from „Seduction" | © CZAR Film 2014

Musikvideo oder Kurzfilm?
Ich meine, dass jedes narrative Musikvideo auch ein Kurzfilm ist. Am Ende des Tages ist es kein klassischer Kurzfilm, der bei Festivals eingeschickt wird und dann in der Versenkung verschwindet. Ich find's auch gut, dass das bei VICE bzw. THUMP läuft und möglichst viele Menschen zu sehen bekommen. Zusammen mit der Musik eines Künstlers, der seine eigenen Fans hat, die ihn vom auflegen oder ihn als Produzenten kennen.

Als Kurzfilm würde es sich über die Länge, über die Ausstattung, die Kameraführung und die Geschichte selbst erklären. Wie hat sich das Drehbuch entwickelt—besonders, dass die Bilder ihre eigene Geschichte erzählen, statt nur die Musik zu illustrieren?
Die Grundidee für die Geschichte stand innerhalb eines Tages. Der Grundgedanke war: Berlin. Ich wollte auch die typischen Klischees vermeiden, die man mit der Stadt oder Marcel selbst verbindet … Berghain oder so.

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THUMP Parker Ellerman Marcel Dettmann Foto Still aus Seduction | © CZAR Film 2014

Eine Einstellung von der Warschauer Brücke muss immer mit dabei sein …
Ich wollte da tiefer gehen: Die 20er Jahre und der Expressionismus, Schwarz-Weiß, das wollte ich alles aufgreifen. Und es war auch klar, dass das wie ein Kurzfilm mit Schauspielern inszeniert wird. Wir haben viel in West-Berlin gedreht: Ku'damm, Fasanenstraße, Kranzler Eck. Im Film ist auch der Eingang des Hotel Atlanta zu sehen, gedreht wurden die Innenaufnahmen aber in der Pension Funk. Dort hat der berühmte Stummfilmstar Asta Nielsen in den Zwanzigern gewohnt. Die Zimmer sind immer noch im Stil jener Zeit eingerichtet. Das galt dann auch für die Kostüme der Schauspieler die sich an den 20ern orientieren. Gleichzeitig fährt man aber mit Autos von heute durch die Stadt. Das war keine Budgetfrage, sondern ein bewusster Stilbruch—um dieses Surreale rüberzubringen und eine Verbindung zur heutigen Zeit zu schaffen.

THUMP Parker Ellerman Marcel Dettmann Foto Still aus Seduction | © CZAR Film 2014

Im Video ist auch ein Plattenspieler zu sehen—neben dem liegt nicht nur Dettmann II, sondern auch ein Uralt-Schellack …
Das ist ein Detail seitens unserer Ausstatterin Isabella Ott. Es gibt noch andere Referenzen: Die Tänzer in der Dachszene tragen Kostüme der expressionistischen Maskentänzerin Lavinia Schulz, sie lebte bis in die zwanziger Jahre. Schulz hat im Absinth-Rausch erst ihren Ehemann und dann sich selbst erschossen. Ihre Kostüme hängen im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, die haben wir eins zu eins nachgebildet. So ergab sich dann auch wieder der Bezug zur damaligen Zeit.

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THUMP Parker Ellerman Marcel Dettmann Foto Still aus Seduction | © CZAR Film 2014

Ein zentrales Element des Films ist der Begriff des Kontrollverlusts—einerseits in Form eines sexuellen Spiels, einer Rolle, später dann durch den Unfall und der Sturz vom Dach …
Es ist nicht nur ein Unfall. Die entscheidende Szene zeigt einen epileptischen Anfall. Ich hatte mich im Vorfeld mit dem Neurologen meines Vertrauens getroffen, eigentlich wollte ich von ihm mehr über Verfolgungswahn erfahren. Das war recht ernüchternd, denn er sagte: „So komplexe Sachen wie in A Beautiful Mind, das ist Hollywood-Quatsch. Die Leute hören eher Stimmen. Denk dir was aus …" Wir kamen dann aber auf die Temporallappen- oder Schläfenlappenepilepsie zu sprechen. Die Patienten erleben dann ganz krasse religiöse Visionen …

THUMP Parker Ellerman Marcel Dettmann Foto Still aus Seduction | © CZAR Film 2014

Deshalb der Engel …
Genau. Der Auslöser ist die Epilepsie. Der Tod ist also nicht nur einem Unfall geschuldet—was man ja oft hört: Schlüssel der Handschellen verloren oder so. Dadurch versteht man zwar auch noch nicht, wofür der Engel steht—das ist dann die Geschichte hinter der Geschichte. Und man muss auch nicht alles erklären, anders als im deutschen Film üblich.

THUMP Parker Ellerman Marcel Dettmann Foto Still aus Seduction | © CZAR Film 2014

Marcel, wie fandest du die Geschichte zu deiner Musik?
MD: Im Vorfeld sprachen wir natürlich über Parkers Ideen …
PE: Unsere Frauen waren schockiert, wir fanden's gut …
MD: Wir fanden's gut! Für mich war es passend. Natürlich hatte ich keine konkrete bildliche Vision zu dem Track, aber Parkers Drehbuch hat sich da wie ein Puzzelstück eingefügt. Ich fand die Idee gut, bis ich dann die erste Schnittfassung sah. Da dachte ich dann: „Wow!" Neun Minuten ohne große Dialoge, das kann schon langatmig sein. Und das Original von „Seduction" wurde für den Film auch nochmal um zwei Minuten verlängert. Aber solche musikalischen Längen auffangen zu können, das macht für mich einen guten Film aus.

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THUMP-Parker-Ellerman-Marcel-Dettmann-Seduction-feat.-Emika-Video-2014

Marcel Dettmann, Seduction EP, Ostgut Ton, 30. Juni 2014.

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