Bei den Saudersons ist Techno eine Familienangelegenheit
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Bei den Saudersons ist Techno eine Familienangelegenheit

Kevin Saunderson und seine Söhne Dantiez und DaMarii sind eine richtige Detroiter Techno-Familie.

Als ich Kevin Saunderson an einem verregneten Mainachmittag im Backstagebereich des Movement-Festivals treffe, sitzt er gerade zusammen mit seiner Familie beim Abendessen in der Künstler-Lounge. Nachdem er mich mit einem warmen Lächeln begrüßt hat, stellt er mich seiner Frau Sharmeela und seiner kleinen Tochter vor, die mir süß die Hand reicht. Von der anderen Seite des Tisches nickt mir sein 25 Jahre alter Sohn Dantiez cool zu. DaMarii, mit 27 Jahren der älteste Spross, trifft ein paar Minuten später ein und schmeißt seinen Rucksack auf den Stuhl, als würde er gerade aus der Schule kommen. Wenn man ihnen dabei zuschaut, wie sie miteinander Witze machen und sich an dem saftigen BBQ-Gericht bedienen, wird deutlich, dass die Saundersons eine eingeschworene Gemeinschaft sind. Der Familiengedanke reicht bei ihnen allerdings noch weiter.

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Nachdem sie jahrelang die Auftritte ihres Vaters besucht hatten, haben Dantiez und DaMarii mit Anfang 20 angefangen, selbst aufzulegen und eigene Musik zu produzieren. Bislang haben sie Remixes von Künstlern wie Green Velvet und Carl Craig angefertigt, sowie eigene Tracks auf Labels wie Defected, Nervous und natürlich KMS, dem Label ihres Vaters, veröffentlicht. Dantiez leitet dort obendrein auch noch die A&R-Abteilung und hat vor Kurzem erst zusammen mit Joe Mesmar und Mr. Bizz die EP Radiator veröffentlicht.

Beim diesjährigen Movement-Festival haben die Brüder zusammen als The Saunderson Brothers auf der THUMP-Stage gespielt und sind mit ihrem Vater und Floorplan, aka Robert Hood, als Co-Headliner auf der KMS-Afterparty aufgetreten. Aber auch wenn sie dem Detroit-Techno, den ihr Vater mit ins Leben gerufen hat, verbunden bleiben, lassen sich Dantiez und DaMarii auch von zeitgenössischen Künstlern wie Seth Troxler und Marco Carola inspirieren, die sich außerhalb des klassischen Detroit-Sounds bewegen.

Als wir nach dem Abendessen durch die Lounge gehen, bleibt Saunderson alle paar Sekunden stehen, um Bekannten die Hand zu schütteln. Seine tiefe Stimme hallt durch den Raum, als er witzelnd seine Söhne vorstellt: "Hast du schon meine Brüder kennengelernt?" Schließlich setzen wir uns in einer ruhigen Ecke an einen Tisch am Ende, um darüber zu sprechen, was es heißt, wenn man als Familie feiern geht – und natürlich auch über die Unterschiede zwischen der alten und der neuen DJ-Generation von Detroit.

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THUMP: Kevin, du hast dich mit deinen Cousins doch damals als Teenager in Clubs wie die Paradise Garage und das Loft geschlichen. Wie war das?
Kevin Saunderson: Ich habe mich nicht reingeschlichen. Ich war vielleicht 17, aber hatte schon einen Bart und bin einfach reingekommen. Ich war mit meinem älteren Cousin unterwegs – er hat mich zum ersten Mal mit ein paar seiner Kumpels mitgenommen. Ich habe sie beim Disco-Tanzen gesehen und so. Und ich dachte mir nur: "Wow, das ist cool!" Als wir wieder gegangen sind, dachten wir, dass es noch Nacht war – drinnen war es schließlich dunkel –, aber draußen war es bereits 12 Uhr Mittags.


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War Ausgehen und Musik immer schon etwas, das du mit deiner Familie gemacht hast?
Kevin: Ein bisschen. Meine Mutter hatte Ambitionen Sängerin zu werden. Sie war bei den Marvelettes, bevor sie die Marvelettes wurden – sie war mit ihnen zusammen auf der High School. Mein großer Bruder Ron war Tourmanager für Funk-Band Brass Construction und wurde dann Mitglied der New Yorer R'n'B- und Funkband Sky. Brass Consumption, BT Express und Sky hatten nämlich ein paar der gleichen Mitglieder. Er war dementsprechend dabei, als die ersten Synthesizer und MIDI auf den Markt kamen.

Als ich angefangen habe, Musik zu machen, hat er mir Ratschläge gegeben, was ich mir kaufen soll und wie ich es benutzen kann. Es war wirklich schwer, die Roland-Anleitungen zu lesen. Sie waren in schlechtem Englisch geschrieben und kaum zu verstehen … ich hatte keine Ahnung, was zur Hölle ich da eigentlich machte.

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Raven hat für uns nichts mit Rebellion zu tun. Es gehört einfach zur Familie. – DaMarii Saunderson

Dantiez und DaMarii, was bedeutet die Techno-Kultur für euch? Euer Vater ist schließlich ein Star-DJ. Ist Techno immer noch eine Form der Rebellion oder mehr eine Familienaktivität?
DaMarii Saunderson : Es ist definitiv ein Familiending. Partys sind etwas, das wir gemeinsam erfahren. Früher habe ich nie gedacht, dass mich die Karriere meines Vaters beeinflussen würde. Je mehr ich aber angefangen habe, mit meinem Alten auszugehen und mir anzuschauen, was er da eigentlich macht – wie er das Publikum kontrolliert –, hat mich das inspiriert. Raven hat für uns also nichts mit Rebellion zu tun. Es gehört einfach zur Familie.

Dantiez, du hast doch mit EDM angefangen, oder?
Dantiez Saunderson: Ich fing erst ziemlich spät an, auszugehen. Abgesehen von den paar Clubs, in die mein Vater mich mitgenommen hat, und dem Movement, bei dem ich jedes Jahr war, habe ich erst nach der High School angefangen, mit meinen Freunden in Clubs zu gehen. Da war ich 18 oder 19. EDM war damals total angesagt. Mit der Zeit habe ich aber meinen Weg in die Underground-Szene zu der Musik gefunden, die ich liebe.

DaMarii: Ich war ein großer Sportfan und habe Baseball gespielt, aber irgendwann ging alles den Bach runter. Ich überlegte, was ich als Nächstes tun kann, und fing an, mit meinem Vater zu reisen.

Welche Software und welches Equipment benutzt ihr zum Auflegen und zum Produzieren? Wie unterscheiden sich eure Stile voneinander?
Dantiez: Wir haben zum Auflegen mit Traktor und Controllern angefangen. Zum Produzieren benutzen wir Ableton und DaMarii versucht sich an Logic.

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DaMarii: Was die DJ-Styles angeht, haben wir eine Menge von unserem Vater gelernt und inkorporiert. Aber wir mögen auch Musik, die er vielleicht nicht spielen würde. Wir haben alle unterschiedliche Ohren.

Dantiez: DaMariis Stil ist etwas düsterer, deeper und mehr Techno. Ich bin vielleicht bekannter für funkigere, soullastige House-Produktionen, aber ich mag auch Techno.

Kevin, wie hat sich das DJ-Geschäft deiner Meinung nach für deine Kinder verändert? Vor welchen Herausforderungen stehen DJs heute im Vergleich zu damals, als du angefangen hast?
Kevin: Ich glaube, es ist vor allem die Diversität der Musikstile. Heute musst du deine Nische wählen. Es gib nicht viele House-DJs, die Trap spielen, oder Trap-DJs, die Techno oder House spielen. Du musst deinen eigenen Weg finden und diese Entscheidung ist eine große Herausforderung.

Es ist komplizierter als damals, als ich angefangen habe. Musik hatte mehr Macht, weil es weniger davon gab. Wenn du eine heiße Platte hattest, wollte jeder DJ sie spielen. Heute gibt es so viele Mittel und Wege Musik zu entdecken, dass es unmöglich ist, jede Platte zu kennen.

Arbeitet ihr zusammen an Musik? Wie sieht der Kollaborationsprozess aus?
Kevin: Dantiez ist jetzt ein Mitglied von Inner City und wir haben zusammen an einem neuen Track, "Good Luck", gearbeitet, der vor Kurzem erst erschienen ist. Wir werden gemeinsam auch noch an ein paar weiteren Tracks arbeiten.

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Dantiez: Manchmal sind wir alle zu unterschiedlichen Zeiten im Studio und schicken uns einfach gegenseitig Projekte zu. Wir haben uns aber auch schon zusammen ins Studio gesetzt und einfach losgelegt. Jemand sitzt dann am Drumcomputer und der andere an den Synthesizern.

Kevin, bist du ein Lehrer, der gerne selbst eingreift?
Kevin: Es ist anders, wenn du Kinder hast. Davor war da nur ich und ich habe einfach gemacht, was ich machen musste, um meine Tracks fertig zu bekommen. Wenn Dantiez oder DaMarii jetzt an einem Track arbeiten, mache ich natürlich Vorschläge. Aber ich greife nicht ein – wenn ich nicht unbedingt muss.

Versucht ihr, andere musikalische Territorien zu begehen, um dem Schatten eures Vaters zu entgehen?
Dantiez: Ich habe einen starken HipHop-Background. Bei mir wird man also eine Menge HipHop- und 2-Step-Referenzen hören. Das kommt aber nicht sofort. Du musst schon Geduld haben, um deinen eigenen Sound zu finden.

Habt ihr das Gefühl, dass es eine große Lücke zwischen der alten und der neuen DJ-Generation in Detroit gibt? Unterstützen sie sich gegenseitig?
Kevin: Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, ob DJs heute überhaupt noch miteinander sprechen. Als ich jung war, war jeder DJ auf jeder Party. Sie alle liebten die Musik und ließen sich von anderen DJs inspirieren.

Ich gebe dir ein kleines Beispiel: Als ich DJ werden wollte, hat mich Derrick May diesen Typen vorgestellt, Art Payne und Keith Martin, die Technics 1200 Turntables hatten. Die brauchtest du einfach. Derrick meinte so: "Hey, das ist mein Kumpel Kevin, der ist cool." Also habe ich mit ihnen abgehangen und durfte an ihre Turntables ran, habe ihre Musik gehört, ein Tape gemacht oder einfach nur in ihrer Wohnung abgehangen. Und das war nicht nur ich – 20 andere Leute wie Eddie Folkes hingen da auch alle rum. Es war der Anfang der Bewegung.

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Ich weiß nicht, ob das heute noch so ist. Mir scheint es eher so, dass jeder in seiner eigenen Welt lebt und einfach sein Ding macht. Es gibt keine Verbindung und Unterstützung mehr füreinander. Aber das ist nur meine Perspektive.

DaMarii: Ich muss da zustimmen. Vielleicht schauen wir auf die alten Typen zurück, aber die meiste Zeit macht eigentlich jeder nur sein eigenes Ding.

Dantiez: Die Szene ist auch ein bisschen übersättigt. Es ist fast wie ein Trend – jeder will DJ sein und versucht, den anderen zu übertrumpfen. Aber ich habe das Gefühl, dass es immer noch eine Menge Support gibt – besonders bei Menschen, zu denen man aufschaut und die du in der Szene respektierst.

Ich kollaboriere mit einer Menge Leute, aber es ist sehr cliquenhaft geworden. Es gibt mehrere Communitys, die konkurrieren – nicht nur eine. Es ist auch nicht mehr nur House und Techno. Trap und EDM mischen ebenfalls mit.

Durch das Internet formieren sich die Gemeinschaften jetzt aber auch auf SoundCloud und Facebook, anstatt nur in den Städten, in denen die Menschen leben.
Kevin: Das ist ein Vorteil: Du kannst jetzt viel einfacher mit anderen zusammenarbeiten. Davor musste man sich besuchen oder im Studio treffen. Das ist heute einfacher. Ich arbeite an einem Track mit KiNK und schicke ihm Parts und er schickt mir Parts. Das ist ziemlich nett.

Glaubst du, dass die gleiche Szene, in der du großgeworden bist, möglich gewesen wäre, wenn es damals das Internet gegeben hätte?
Kevin: ja, sie wäre möglich gewesen. Sie fußt immer noch auf der Grundlage elektronischer Instrumente – egal, was sonst so ist. Damit herumzuspielen, erlaubt dir, etwas zu kreieren. Damals gab es nicht viele Kollaborationen. Du hattest einfach nur das Equipment und hast deine Musik gemacht. Ich habe Derricks und Juans Musik gehört und mir gedacht: "Ich will auch so einen Track machen!" Zeit war kein Thema.

Kevin, du bist schon immer eine Art Futurist gewesen. Du hast mal gesagt, dass Detroit die futuristischste Stadt ist, weil sie die technologische Revolution als erstes erfahren hat. Hegst du immer noch den gleichen Utopismus gegenüber der Zukunft?
Kevin: Ich glaube, die Zukunft muss passieren, weil wir einen Morgen haben wollen, egal wie. Die Technologie könnte das aber auch alles beenden – wir könnten innerhalb von Minuten tot sein. Aber du musst mit der Zukunft gehen. Wir müssen uns als menschliche Rasse entwickeln, immer. Wie sollten wir sonst vorwärts gehen?

Das Gute an der Clubmusik ist, dass sie Menschen zusammenbringt. Hautfarbe oder Herkunft spielen keine Rolle – sie ist für alle da. Sie transportiert einen fröhlichen Vibe und das ist ein großartiges Gefühl. Sie ist einfach. Du brauchst noch nicht mal eine Message. Du kommst einfach in dieser positiven und offenen Welt zusammen.

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