„Fremdenfeindlichkeit und Aggressionen sind ein gesamtdeutsches Problem."
Foto: Monika Kruse Promo

FYI.

This story is over 5 years old.

techno

„Fremdenfeindlichkeit und Aggressionen sind ein gesamtdeutsches Problem."

Wir sprachen mit Monika Kruse, Gründerin der Organisation „No Historical Backspin - DJs gegen Rechts!" über Pegida, Politik in der elektronischen Szene und die Grenzen der Aufklärung.

Am kommenden Samstag, den 6. Februar 2016, wird es die erste zeitgleich stattfindende europäische Pegida-Demo geben. Ableger aus Österreich, Belgien, Tschechien, England, Frankreich, Deutschland, Holland, Polen, die Slowakei und die Schweiz und sogar Australien wollen mitmarschieren. Die Demos laufen unter dem Credo „Wir werden uns für einen Grund unter einem Banner vereinen: Rettet unserer Kultur, rettet unsere Länder, rettet unsere Zukunft, vereint für eine bessere Zukunft unserer Kinder". Wir sprachen mit der Produzentin und DJ Monika Kruse, Gründerin der Organisation „No Historical Backspin - DJs gegen Rechts!" über Pegida, Politik in der elektronischen Szene und die Grenzen der Aufklärung.

Anzeige

Thump: Mit „No Historical Backspin" macht ihr seit Jahren in Kooperation mit der Amadeus-Antonio-Stiftung antifaschistische Arbeit. Wie kam die Idee, eine solche Organisation zu gründen?
Monika Kruse: Der Anlass damals, im Jahr 2000, waren die zahlreichen fremdenfeindlichen Übergriffe auf Flüchtlinge. Asylbewerberheime wurden abgefackelt und es kam vermehrt zu Gewalt gegenüber Asylsuchenden. Es gab ja sogar mehrere Morde an Ausländern und Asylbewerbern. Auch meine DJ-Kollegen wurden tätlich angegriffen, ein schwarzer DJ-Kollege—Dj Rush—wurde vor einem Klub wegen seiner Hautfarbe von Nazis verprügelt. Ein befreundetes homosexuelles Pärchen wurde auf der Strasse im Prenzlauer Berg zusammengeschlagen, weil sie Händchen hielten. Ich dachte mir dann, dass es so nicht weitergehen kann und ich ein Zeichen setzen muss. Und grade in unserer Szene, die ja als sehr hedonistisch gilt, wollte ich zeigen, dass wir uns trotz Spaß- und Feierkultur Gedanken machen, was im Alltag passiert, und dass wir beim Thema Fremdenfeindlichkeit und Homophobie nicht wegschauen dürfen. Wir DJs haben bei den Jugendlichen eine Art Vorbildfunktion. Es ist wichtig zu sagen, dass es besser ist, bunt statt braun zu sein, verschiedene Kulturen als Bereicherung zu sehen. Es gibt diesen Frieden auf dem Dancefloor und den müssen wir auch nach draußen in unseren Alltag hinaus tragen. Auf der Loveparade tanzten Millionen von Menschen friedlich miteinander! Menschen aus den verschiedensten Kontinenten kamen angereist, um eben dieses Miteinander zu erleben! Lasst uns diesen Spirit auch in den Alltag integrieren. Ein Miteinander ist möglich, wenn wir uns gegenseitig respektieren und akzeptieren. Ich wollte damit auch vor allem die Jugendlichen erreichen, die sehr oft bei Neo-Nazis einfach nur mitgelaufen sind, weil sie keinen Halt haben, und in bestimmten Gebieten, in denen sie leben, die rechten Gruppen ihnen eine Art Sicherheit gegeben haben. Viele haben sich den rechten Gruppierungen angeschlossen, um überhaupt in einer Gruppe dabei zu sein. Ich wollte mit „No Historical Backspin" einen Gegenpol darstellen und gleichzeitig Gelder für die Opfer von Anschlägen sammeln. Es war grossartig, dass bis heute über 100 namenhafte DJs bei den Partys umsonst gespielt haben und sich damit auch gegen Fremdenfeindlichkeit und Homophobie positioniert haben. So konnten wir durch die Touren mit „No Historical Backspin" über 100.000 Euro an die Amadeu Antonio Stiftung spenden, die sich um die Opfer von fremdenfeindlichen Anschlägen kümmert.

Anzeige

Ich habe diese Charity Partys in ganz Deutschland veranstaltet, es gab sogar ein paar Partys im Ausland. Die Veranstaltungsreihe gibt es natürlich bis heute, das Thema Rassismus ist, wie wir wissen, leider aktueller denn je. Die letzte Veranstaltung im Herbst 2015 war im Watergateclub, und wir spendeten das Geld an die Flüchtlingsorganisationen „Orienthelfer e.V.", die sich im Libanon um die syrischen Flüchtlinge kümmern und an „Moabit hilft" in Berlin. Wir hatten auch letztes Jahr eine erfolgreiche Veranstaltung im Berghain, bei der über 21 000 Euro gesammelt wurden.

Wie siehst du denn den Zusammenhang von elektronischer Musik und Politik? Im Vergleich zum HipHop gibt es ja viel weniger Vocals, meistens keine. Manche sehen das als Vorteil, andere wiederum als gefährliche Basis für Leute, die bestimmte Ideologien vertreten, die dann nicht auffallen. Ten Walls war zum Beispiel ein gefeierter Produzent, bis er bei Facebook dieses Posting gemacht hat. Gibt es solche homophoben oder andere Gedanken in der elektronischen Musik vielleicht öfter als angenommen?
Durch den multikulturellen Ansatz bei vielen Raves wie den großen Festivals, hat das Thema Homophobie und Fremdenfeindlichkeit bei uns nicht so eine grossen Stellenwert, wie bei anderen Genres. Homophobie gibt es leider immer noch überall, in manchen Ländern oder Gegenden mehr, in manchen Ländern fast gar nicht. Ich würde aber sagen, dass sie in unserer Musikszene generell nicht groß ist. Im HipHop ist das Thema Homophobie und Sexismus ja weit verbreitet, und wird durch viele Lyrics ja auch noch geschürt.

Anzeige

Aber Fremdenfeindlichkeit ist definitiv auch in unserer Szene vorhanden. Ich habe das selber erlebt bei einigen meiner Facebookpostings, dass es leider auch unter meinen Followern ein paar Menschen gab, die sich rassistisch geäussert haben. Oder wenn ich die Parties für „No Historical Backspin" im Osten gemacht habe, waren auch Nazis vor Ort, die dann zum Teil mit uns diskutiert haben. Zum Beispiel, dass es keinen Holocaust gab usw. Wobei ich den Austausch wichtig fand und finde, weil ich immer hoffe, vielleicht doch noch was in den Köpfen bewegen zu können. Beschimpfungen bringen da nichts. Dieser ganze Facebook-Hass, der gerade passiert, vergrößert die Kluft nur noch mehr. Was das angeht, nehmen sich beide Seiten nicht viel. Ein vernünftiges Miteinander fängt auch im Geschriebenen an…

Foto: Monika Kruse Promo

Das Londoner Label Berceuse Heroique hat seit seiner Gründung 2013 immer wieder Platten-Cover verwendet, die Wehrmachtssoldaten zeigen oder Lynchmorde an Schwarzen durch weiße Amerikaner zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Außerdem hat man auf einer der Platten ein Zitat aus einem deutschen Kinderlied aus Zeiten des Ersten Weltkrieges gedruckt, in denen die Zerstörung Englands besungen wird ("Zeppelin, flieg / Hilf uns im Krieg / Fliege nach Engeland / England wird abgebrannt / Zeppelin, flieg"). Kritik gab es erst letztes Jahr von Michail Stangl, dem Moderator des deutschen Boiler Rooms. Fehlt in der Szene die Awareness?
Das hab ich leider nicht mitbekommen, das Label kenn ich auch leider nicht. Ich denke, es gibt ansonsten eine große Awareness. Wenn sich jemand rechtspopulistisch äußert, wurde das bisher immer gesehen und kritisiert.

Anzeige

Bist du im Kontext elektronischer Musik auf rechtspopulistische Äußerungen gestoßen?
Natürlich reden wir Kollegen auch über das Thema. Zum Beispiel Aufnahme von Flüchtlingen, Integration, AfD. Als ich in der Schweiz, war gab es einmal eine Diskussion, wieviele Flüchtlinge man aufnehmen kann. Es gab einen schweizer Kollegen, der sich generell gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aussprach, aus Angst vor steigender Kriminalität . Ich sehe das anders, meiner Meinung nach darf man diese ganzen Menschen, die vor dem Krieg, Elend und Hunger flüchten, nicht verrecken lassen, auch wenn es die Gefahr beinhaltet, dass ein paar von den Flüchtlingen sich nicht an die Gesetze halten. Der grosse Teil der Flüchtlinge will doch ein besseres Leben und sich integrieren, das habe ich selber bei Gesprächen erfahren und in den Heimen gesehen. Aber ich verstehe auch die Angst des Kollegen. Es ist wichtig, sich die Ängste der Menschen über diese Thema anzuhören. Dennoch bin ich anderer Meinung. Unser Land hat durch Waffenexporte sehr sehr viel Geld verdient und verdient es immer noch. Wir machen weiterhin Geschäfte mit dem Krieg. Nun müssen wir eben die Folgen ausbaden und auch die Verantwortung dafür übernehmen. Europa verändert sich, jetzt bekommen wir eben auch die Folgen der Kriege mit, an denen wir nicht ganz unschuldig sind. Wir werden gerade alle aus unserer Komfortzone herausgerissen, damit müssen wir jetzt einfach umgehen und das akzeptieren.

Anzeige

Warum haben Gruppen wie Pegida so einen Zulauf bekommen? Woher kommt die Angst vor dem Fremden bei den Deutschen?
Ich glaube das ist eine Ansammlung von vielen Faktoren. Unzufriedenheit mit der eigenen Situation. Mit der Politik. Dazu kommt der Neid. Warum bekommen die von unserem Staat Geld, die sind ja noch nicht einmal hier geboren etc. Wieso haben die ein besseres Handy als ich und sogar Markenklamotten. Oder auch einfach nur Menschenhass, glaube ich. Wenn ich mir die Demonstranten ansehe, blicke ich in soviel verkniffene , zornige Gesichter, ohne Freundlichkeit, ich glaube vielen fehlt es an Einfühlungsvermögen für die Situation der geflüchteten Menschen bzw. dafür, was man im Krieg durchmacht und was die Menschen flüchten lässt. Da ist ein Mangel an Empathie. Und der grösste Grund für den Zulauf von Pegida, ist wohl eine Vielzahl von Ängsten. Zum Beispiel, dass es uns dann wirtschaftlich schlechter geht—"die liegen uns auf der Tasche". Angst davor, dass die Kriminalität steigt. Dann ist da sehr viel Angst vor dem Fremden im Allgemeinen vorhanden. Vor Kopftüchern und anders aussehenden Menschen, deren Kultur, die wir nicht verstehen. Oder die Angst vor dem Verlust unseres christlichen Abendlandes. Wobei ich mich da frage, welches christliche Abendland wir überhaupt haben. Die meisten Leute können noch nicht einmal das Vaterunser oder gehen in die Kirche. Das ist für mich etwas an den Haaren herbeigezogen, auf einmal entdeckt man das vermeintliche christliche Abendland? Und wäre es nicht die Pflicht eines Christen, diese Flüchtlinge aufzunehmen?

Anzeige

Aber man muss die Ängste auch verstehen und versuchen, sie aus dem Weg zu schaffen. Wenn man aber mit niemandem mehr redet, wie es die SPD jetzt mit der AfD macht, dann schürt man noch mehr Aggressionen, Trotz und ein Gefühl von „Jetzt erst recht" bei den Leuten, die für Pegida/AFD empfänglich sind. Die meinen dann, sie werden nicht gehört, die normalen Parteien lassen sie im Stich und wählen eine Partei, die ihnen dieses Gehör verschafft.

Sind die Ängste der Leute also begründet? Es gibt immer wieder die Nachweise, dass die Kriminalität durch die Aufnahme von Flüchtlingen nicht merklich steigt und dass auch niemandem Geld weggenommen wird. Gibt es eine Grenze, an der die Aufklärung und die Argumente scheitern?
Das ist schwierig zu beurteilen. Jeder Mensch ist ja unterschiedlich und hat eine unterschiedliche Sicht der Dinge. Ich selber finde manche Ängste nicht nachvollziehbar, zum Beispiel, dass es uns wirtschaftlich schlechter geht, aber ich kann andere Ängste allerdings verstehen, Zum Beispiel vor dem respektlosen Verhalten gegenüber Frauen von einigen Flüchtlingen aus bestimmten Ländern, weil es da schon problematische Aspekte gibt. Intergration ist hier sehr wichtig, und da müssen wir uns alle miteinbringen. Ansonsten denke ich: Wir brauchen auch die Zuwanderung für unser Sozialsystem. Und Deutschland kann sie sich auch davon abgesehen als größte Wirtschaftsmacht Europa leisten. Diese Angst vor dem Fremden, vor der anderen Kultur kann man meiner Meinung nach nur durch Begegnung auflösen.

Anzeige

Ich denke es ist wirklich wichtig, dass wir irgendwie versuchen, den Menschen die Ängste zu nehmen. Nur so kommt man weiter. Leider weiss ich aber gerade auch nicht, wie man diese Ängste und Vorurteile den Menschen nehmen kann. Ich würde mir wünschen, dass man sich darüber mal Gedanken macht. Mit dem Fingerzeigen und Beschimpfungen, wie „ihr seid scheisse, weil ihr AfD wählt und bei Pegida mitmarschiert" sind wir bisher jedenfalls nicht weitergekommen.

Aber was tut man mit den Menschen, die sich nicht überzeugen lassen? Oder gibt es die für dich gar nicht?
Doch, ich glaube, dass es Menschen gibt , die sich nicht überzeugen lassen. Und die würden auch niemals den Kontakt mit Flüchtlingen suchen. Die wollen einem auch nicht zuhören, sie wollen die Fakten nicht hören oder ignorieren sie. Da weiß ich auch nicht, wie man mit denen umgehen soll. Und das macht mir wiederum Angst, wohin sich das in Zukunft entwickeln soll mit all diesem Hass und dieser Gewaltbereitschaft. Ich zerbreche mir schon seit Monaten den Kopf darüber, wie man das aufhalten kann. Die Spirale dreht sich ja immer weiter. Es werden auf allen Seiten Fehlinformationen gestreut, alle drehen nur noch durch. Diese Hetze auf beiden Seiten ist furchtbar! Ich finde es ist gerade eine ganz schlimme Stimmung in Deutschland. Wohin soll das noch führen? Und wir leben doch in einem reichen Staat, ohne Krieg, haben ein gutes Sozialsystem, uns geht es doch gut! Wo ist denn unsere Dankbarkeit für unser schönes, sicheres Leben was wir führen hin? Wo ist denn unser Miteinander hin? Was passiert denn hier gerade?

Glaubst du, dass Pegida primär ein ostdeutsches Problem ist? Oder gibt es im Westen ebefalls so ein Potenzial?
Es gab in Nordrhein-Westfalen ja sogar mehr Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte als im Osten. Ebenso gab es diesen Handgranaten-Angriff auf ein Asylbewerberheim in Baden-Württemberg. Die Aggressionen und die Fremdenfeindlichkeit sind auch dort vorhanden. Es ist ein gesamtdeutsches Problem. Eigentlich ein Weltproblem, wenn ich mir die anderen Länder so anschaue. Dies Gewaltbereitschaft und Ablehnung gegenüber Flüchtlingen nimmt ja überall zu.

**

Website von „No Historical Backspin - DJs gegen Rechts!"

Monika Kruse ist auf Facebook