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Freie Fahrt

Wie Schwarzfahren bald straffrei werden könnte

Um die 5.000 Deutsche sitzen im Knast, weil sie kein Ticket hatten.
Foto: imago | Michael Westermann

Es ist der wohl unspektakulärste Grund für acht Monate Knast: Ein Mann aus Köln muss für 247 Tage ins Gefängnis, weil er insgesamt 6.175 Euro an Geldstrafen fürs Schwarzfahren nicht bezahlt hat. Wer das noch nicht absurd findet, den könnte vielleicht die folgende Rechnung erleuchten: Geht man davon aus, dass ein Inhaftierter den Steuerzahler jeden Tag im Schnitt 110 Euro kostet – so viel war es 2010, inzwischen dürfte es noch teurer sein –, dann war uns die Bestrafung des Kölners am Ende 27.016 Euro wert.

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In ganz Deutschland sitzen derzeit um die 5.000 Menschen Haftstrafen ab, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlt haben. Die meisten von ihnen wurden wegen Schwarzfahrens verurteilt. Diesen Irrsinn will der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) beenden. Er forderte jetzt, Schwarzfahren zu entkriminalisieren. "Wir haben allein am Montag in NRW rund 160.000 Euro dafür ausgegeben, dass Menschen inhaftiert sind, die das Gericht überhaupt nicht inhaftieren wollte", sagte Biesenbach der Rheinischen Post. Er regte an, Schwarzfahren in Zukunft nicht mehr als Straftat zu behandeln, sondern als Ordnungswidrigkeit. Und mit diesem Vorschlag ist Biesenbach nicht alleine.


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Der Hamburger Justizsenator Till Steffen wollte sich bereits 2015 auf Bundesebene dafür einsetzen, dass Schwarzfahren straffrei wird. Und auch Berlins grüner Justizsenator Dirk Behrend hatte vor seinem Amtsantritt angekündigt, sich für die Entkriminalisierung einzusetzen. Passiert ist bislang jedoch nichts und das hat Gründe.

Denn bevor die Städte etwas ändern könnten, müsste man an das Bundesgesetz zur Leistungserschleichung ran. In Berlin stellt sich die CDU quer. Für eine Gesetzesänderung auf Bundesebene bis hin zu kostenlosem Nahverkehr für alle gibt es immer wieder zivilgesellschaftliche Initiativen. Und die Piraten hatten vor zwei Jahren in einer Studie untersuchen lassen, ob ein ticketloser Nahverkehr möglich wäre. Seitdem ist auf Bundesebene wenig passiert. Denn auch die Verkehrsbetriebe haben einige Argumente dafür, dass Schwarzfahrer hart bestraft werden.

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Dem Hamburger Verkehrsverbund und den Berliner Verkehrsbetrieben entgehen nach eigenen Angaben jährlich jeweils rund 20 Millionen Euro durch Schwarzfahrer. In Köln und München fehlen jedes Jahr zwischen neun und zehn Millionen Euro. Deshalb geben sich die Betreiber der Öffis auch nicht mit 60 Euro Bußgeld zufrieden und zeigen ertappte Schwarzfahrer meist beim dritten Mal an – obwohl sie das theoretisch schon beim ersten Mal tun könnten. Außerdem, argumentieren die Verkehrsbetriebe, könnten Kontrolleure keine Personalien mehr aufnehmen und sich nicht mehr aufs "Jedermannsrecht" berufen, wenn Schwarzfahren keine Straftat mehr wäre. Dieses Recht erlaubt es jedem – auch Kontrolleuren –, Menschen bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten, wenn man sie bei einer Straftat ertappt.

Bis die "Erschleichung von Leistungen" keine Straftat mehr ist, könnte also noch etwas Zeit vergehen. Bis dahin können wir uns von kreativen Schwarzfahrern wie Dirk Jessen unterhalten lassen. Wenn er ohne Ticket in einen Zug steigt, trägt er ein Schild um den Hals mit der Aufschrift: "Ich fahre schwarz". Von Leistungserschleichung könne dann keine Rede mehr sein, argumentiert Jessen. Das Landgericht München hatte 2015 ein Urteil wegen Schwarzfahrens gegen Jessen in zweiter Instanz aufgehoben, berichtete die taz. Angeblich soll er damals ohne Ticket nach Hause gefahren sein.

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