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Chris Taylor von Grizzly Bear hat noch Träume

Nach dem enormen Hype um ihr letztes Album ,Veckatimest‘ stehen Grizzly Bear mit ,Shields‘ vor einer Bewährungsprobe.

Mit dem Album Veckatimest erzeugte die Brooklyner Band Grizzly Bear einen der großen Indie-Hypes des Jahres 2009. Am 14. September nun ist mit Shields der sehnsüchtig erwartete Nachfolger bei Warp Records erschienen. Das Album, das insgesamt vierte der Band, ist kein weiteres Veckatimest geworden, womit auch nicht zu rechnen gewesen war, was einige Fans aber sicher irritieren wird. Es ist weniger homogen, wechselt häufiger das Tempo und ist durchaus vielschichtiger als der Vorgänger, dabei aber stets das Werk einer Band, die wie kaum eine andere eine vollkommen eigene, unverwechselbare Handschrift gefunden haben. Kurz vor Veröffentlichung trafen wir uns mit Grizzly Bears Chris Taylor in Berlin, um über Shields zu sprechen.

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Noisey: So, was ist passiert bei euch seit der Veröffentlichung von Veckatimest?
Chris: Wir waren erst mal sehr lang auf Tour mit dem Album. Anschließend habe ich ein Solo-Album aufgenommen, war deswegen noch mal auf Tour, und ich hab mit Terrible Records ein Label gegründet. Im Prinzip war ich also nur unterwegs. Dan [Rossen] hat sich ein wenig frei genommen, Ed [Droste] ist um die Welt gereist und hat geheiratet, und Chris [Bear] hat sich entspannt. Das war es so ungefähr.

War es also nötig, mal ein wenig weg zu kommen von den anderen drei?
Auf jeden Fall. Wir waren ungefähr fünf Jahre lang auf Tour und es ist einfach ziemlich anstrengend, so lange mit drei anderen Typen auf so engem Raum zusammen zu leben, wir brauchten auf jeden Fall eine Pause davon. Das eine Jahr war unbedingt nötig, aber anschließend waren wir definitiv auch alle wieder bereit und in der Lage, das neue Album aufzunehmen.

Hat sich diese Zeit auf euer Songwriting ausgewirkt, kam jeder mit Ideen, die sonst vielleicht nicht möglich gewesen wären?
Ja, das glaube ich schon. Es war ein bisschen komisch, wir mussten musikalisch erst mal wieder den gemeinsamen Nenner finden, denn für ungefähr drei Jahre lang hatten wir miteinander überhaupt nicht über Musik gesprochen, während des Tourens hatten wir nicht mal wirklich Musik gehört, sondern immer nur unsere Sachen gespielt. Danach sprach ich mit meinem Kumpel, mit dem ich das Label habe, über Musik, aber nicht mit den anderen aus der Band. Deshalb wusste niemand, was die anderen gerade toll finden, was einerseits interessant ist und einen echten Neustart möglich gemacht hat, aber auf der anderen Seite es auch schwierig machte, einen gemeinsamen Ansatzpunkt zu finden, um neue Songs zu schreiben und aufzunehmen. Am Anfang haben wir sehr viel Zeit damit verbracht, uns zu sortieren, und von diesen ersten Monaten sind deshalb auch nur zwei Songs übrig geblieben, „Sleeping Ute“ und „Yet Again“. Der Rest war Müll, weil es sich einfach noch nicht richtig anfühlte.

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Vor allem „Yet Again“ klingt viel mehr nach straightem Rock als die Stücke auf Veckatimest, genauso wie einige andere Sachen auf Shields. Wie ist es dazu gekommen?
Ich weiß auch nicht, irgendwie ist „Yet Again“ zu so einem wirklich schnörkellosen Song geworden, es ist einfach so passiert, es gab keine Möglichkeit, ihn merkwürdiger oder experimenteller zu machen. Und wenn es keinen ungekünstelten Weg für so etwas gibt, dann sollte man davon auch die Finger lassen, dann wollte der Song wohl einfach so werden. Ich kann damit leben. Ich denke, früher hätte es in der Band komische Vorbehalte gegeben gegen einen Track, der so geradeheraus ist, und um ehrlich zu sein, solche Vorbehalte gab es auch gegen „Yet Again“, aber irgendwann konnten sich alle damit anfreunden. Andere Songs auf Shields wiederum sind allerdings so fern von klassischen Rock wie nur möglich, würde ich behaupten.

Ich habe gelesen, Shields sei wesentlich mehr in Zusammenarbeit zwischen den Bandmitgliedern entstanden, im Vergleich zu früheren Alben.
Nun ja, Ed hat das gesagt, aber er bezog sich damit auf die Lyrics, die sind diesmal wirklich viel kollaborativer entstanden, mehr von uns hatten dazu was zu sagen. Musikalisch war es ansonsten eigentlich wie immer: Chris und Dan und ich kommen mit Ummengen komischer Instrumentalspuren um die Ecke.

Nach dem ganzen Hype um Grizzly Bear nach dem Erscheinen von Veckatimest vor drei Jahren, habt ihr deswegen dieses Mal besonderen Druck verspürt?
Nicht wirklich. Man kann dagegen ohnehin kaum etwas tun, und davon abgesehen sind wir diejenigen, die uns selbst schon genug unter Druck setzen, da kann man sich nicht auch noch über Erwartungen von außen Sorgen machen. Allerdings, jetzt da das Album fertig ist, ich meine ich bin wirklich stolz auf das, was wir geschaffen haben, aber ich frage mich schon, wie die Leute das Album aufnehmen werden. Denn es ist etwas geworden, von dem nicht mal ich vollständig verstehe, was es eigentlich ist. Ich bin gespannt, wie andere das sehen werden. Es ist so anders als Veckatimest. Ich meine, wenn die Leute ein weiteres Veckatimest erwarten, das wird nicht passieren. Und ich frage mich, was für einen Effekt das haben wird, ob sie von der Tatsache begeistert sein werden, dass es etwas Neues ist, oder ob es sie verwirren wird, dass das neue Album nicht viel mit dem letzten zu tun hat. Veckatimest war natürlich viel größer als Yellow House, und deshalb frage ich mich, wie sehr wir durch das Album allein definiert werden.

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Gab es auf Veckatimest irgendetwas, womit du nicht zufrieden warst, und was du dieses Mal unbedingt vermeiden wolltest?
Auf jeden Fall. Solche Sachen gibt es auf jedem Album, das ich mache. Ich arbeite an einer Platte so lange, bis ich damit leben kann und nichts mehr ändern würde, aber ich will besser werden darin, unsere Ideen deutlicher werden zu lassen. Konkret wollten wir dieses Mal, dass die Texte wirklich etwas aussagen, früher waren unsere Lyrics meist sehr impressionistisch, einfach lose Gedanken. Das wollten wir anders machen. Ich meine, die Texte müssen keine Geschichte erzählen oder so, aber wenn es welche gibt, dann sollten sie etwas sagen, oder? Auch von der Abmischung her sind die Vocals diesmal viel klarer und mehr im Vordergrund, und wenn sie schon so exponiert sind, dann müssen die Texte auch überzeugend sein.

Lass uns über das Internet reden. Habt ihr es dieses Mal geschafft zu verhindern, dass euer Album leaked?
Nun ja, so bis vor ein paar Tagen, dann ist es doch geleaked, aber bei Veckatimest, nun, da war es schon drei Tage nach dem Mastering im Internet, und das war nun wirklich zu früh, das war nicht okay. Ich meine, ich wusste, dass es passieren würde, aber das war einfach unanständig. Es war klar, das Album würde für drei weitere Monate nicht offiziell erscheinen, und alle würden es bereits gehört haben, das war irgendwie bizarr. Das war schon cool dieses Mal, wir hatten Zeit herauszufinden, wie wir die Songs live spielen sollen, wir waren bereit, damit aufzutreten und auf Tour zu gehen, ohne dass alle schon das Album kannten. Das ist großartig, irgendwie so, wie es früher war. Man hat ein Geheimnis, eine Überraschung für die Leute. Nun ist Shields geleaked, länger als bis zwei Wochen vor dem Release kann man das wohl nicht hinauszögern, es sei denn vielleicht, man ist Jay-Z oder so, ich glaub, ihm ist das gar nicht passiert.

Überhaupt hoffe ich, dass wir eine bessere Lösung finden werden für die ganze Sache, dass wir uns langfristig nicht einfach damit abfinden, dass Musik jetzt halt umsonst ist. Musiker arbeiten sehr hart an ihren Alben, und so etwas verdient Respekt, deshalb hoffe ich auf ein Umdenken. Ich selbst habe keine Idee, und natürlich muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass jeder heutzutage Musik runter lädt. Aber trotzdem hoffe ich auf irgendeine Art von Gegenreaktion. Es ist ein bisschen wie mit Fast Food. Ich meine, McDonald’s hat gutes Essen nicht abgeschafft, aber sie wurden so unglaublich erfolgreich, und die Leute wurden fett und immer ungesünder und bekamen Krebs, man kann halt nicht einfach immer nur so einen Müll essen, so etwas hat Auswirkungen. Natürlich will ich nicht sagen, dass man vom illegalen Runterladen Krebs bekommt, offensichtlich nicht, aber auch hier gibt es Konsequenzen. Ich hoffe einfach auf eine Art Gegenbewegung, die Musik wirklich zu schätzen weiß, und der Qualität wichtig ist. Abgesehen davon kann man nichts tun, als trotzdem einfach weiter zu machen.

Lebst du noch immer in Brooklyn? Ist es noch immer der perfekte Ort für Musiker?
Lustig, ich bin vor drei Wochen aus Brooklyn weggezogen. Es hat sich gut angefühlt. Nach zwölf Jahren dort hatte ich das Gefühl, dass sich die Stadt überall in meinem Körper breit gemacht hatte. Ich brauchte einfach mehr Freiraum. Mal sehen, was jetzt passiert. Aber ich denke, Brooklyn braucht einen völligen Neustart, bevor ich zurückkehre. Alles, weswegen ich mal nach New York gezogen bin, hat sich irgendwie in Luft aufgelöst. Es gibt keine echte Community mehr, das ist alles vorbei. Jeder starrt nur noch auf den Bildschirm seines Telefons. Die Leute sitzen in der Bar, jeder für sich, und starren auf ihre kleinen blauen leuchtenden Screens und haben sich nichts zu sagen, das ist einfach nur deprimierend. Das hemmt auch jegliche Kreativität, die Leute sind immer irgendwie mit neun Sachen gleichzeitig beschäftigt, auf Facebook und so. Ich meine, die größten Ideen der Menschheit sind beim Tagträumen entstanden, wenn wir uns dafür keine Zeit mehr nehmen, dann wird das Konsequenzen haben, kulturell, wissenschaftlich, künstlerisch. Das ist ein Problem. Deshalb, holt das Tagträumen zurück.

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