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Die Zeit der Open Airs ist vorbei

Illegale Raves werden sofort aufgelöst, Festivals sind komplett durchkommerzialisiert. Was tun?
Draußen zu feiern, war mal das Beste überhaupt. Foto: S Norris (BY-NC-SA 2.0)

Schon klar, früher war alles besser. Bis vor ein paar Jahren juckte es niemanden, wenn eine Feiermeute irgendwo in einem Berliner Gewerbegebiet sonntags eine Freifläche besetzte. Auch in Parks wurden illegale Raves einigermaßen toleriert. Der Reiz des subversiven Feierns schnappte auf den Rest der Republik über, und so fanden plötzlich unangemeldete Partys unter freiem Himmel zwischen den Isarauen außerhalb von München und Naturschutzgebieten im Rheinland statt. Mit der Masse sinkt allerdings die Toleranz; Anwohner rufen heute sofort bei der Polizei durch, wenn dieselbe Fläche immer wieder mit lauter Mucke bespielt wird und am Ende noch der Müll liegen bleibt. Und jeder Dorfpolizist ist mehr als erfreut, wenn ihm ein illegales Spektakel inklusive Drogenkonsum eine Abwechslung zur Radarkontrolle beschert.

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Jedes Phänomen ist dann im Mainstream angekommen, wenn die großen Medien darüber berichten. Bei dem Phänomen „Open Air Party mit eher unbekannten DJs" war das spätestens 2014 soweit, als ein Videoteam von Der Welt einen „Illegalen Rave To Go" in Berlin-Prenzlauer Berg besuchte. Die Initiatoren sendeten damals die Musik über eine Radiofrequenz und die Besucher brachten Ghettoblaster mit. So musste keine große Anlage her und Polizei und Ordungsamt ließen (zumindest an diesem Tag) das harmlose Picknick gewähren.

Super Idee—die auch ein Getränkehersteller toll fand und für sich vermarkten wollte, wie es im Video heißt. Das wiederum macht natürlich nur Sinn, wenn auch eine entsprechend große Zielgruppe über so ein Sponsoring erreicht wird. Den Damen und Herren vom Marketing war also klar, dass sie mit ihren kostenlosen Getränken genau diejenigen erreichen, die ihr Produkt kaufen sollen. Und zwar möglichst viele Personen auf einmal.

Da drängt sich unweigerlich die Frage auf: Quo vadis Open Air-Kultur?

Die Early Adopters haben sich längst verabschiedet und der einstige Trend ist bei der großen Masse angekommen. Die schmeißt sich zum Beispiel auch Farbbeutel um die Ohren und nennt es Holi Festival. Aus einer indischen Tradition hat eine Holi Concept GmbH ein top vermarktbares Eventkonzept gebastelt, das in diesem Sommer durch alle großen und mittleren deutschen Städte tourt. Warum man da mitmacht? Um anschließend mit möglichst buntem Gesicht in die Kamera zu grinsen und die Fotos auf Instagram zu posten.

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Alles andere als holy: zwei Besucher eines kommerziellen Holi Festivals in Schweden. Foto: imago/Pacific Press Agency

Im Angesicht dieser kommerzieller Massenspektakel also lieber zurück zum selbstorganisierten Wald-und-Wiesen-Rave? Wenn das mal so einfach wäre.

Die Polizei ist mittlerweile auch ordentlich auf Zack und scannt die sozialen Netzwerke nach bevorstehenden illegalen Open Airs. Und nicht nur das: Seit Neustem schickt dein Freund und Helfer auch schon mal Vorwarnungen. So geschehen vor einigen Wochen im Fall des „Open Airs To Go"—ja, das sind tatsächlich dieselben, die damals Besuch von Der Welt bekommen haben. Die Polizei hat nicht nur eigene Kräfte für die Facebook-Open Air-Überwachung abgestellt, wie THUMP herausfand, sondern kann obendrein auch YouTube. Immerhin ist das Video der „Welt" der erste Treffer, wenn man nach „berlin illegal open air" sucht. Die Veranstalter hatten nun jedenfalls versucht, eine Genehmigung des Bezirks für ihre Party am vergangenen Wochenende zu bekommen. Jedoch ohne Erfolg, und nachdem sich über 10.000 Menschen per Facebook für das Event angekündigt hatten, wurde es den Organisatoren doch zu heikel. Sie verlegten die Party schließlich in einen Club, der auch über einen Außenbereich verfügt.

Schon erstaunlich, dass das so kurzfristig geklappt hat. Oder handelte es sich hier gar um eine Promo-Masche? Die Aufmerksamkeit war jedenfalls da.

In Berlin noch ein kleines Open Air zu veranstalten scheint kaum mehr möglich. Am Schifffahrtskanal, zwischen Autobahn und Gewerbegebiet mit 30 Personen – die Polizei löst trotzdem auf, sobald es dunkel wird. Selbst das Umland ist mittlerweile abgegrast. So schreiben Killing Spree Records, erfolglose Veranstalter, die vor einigen Wochen ebenfalls nach ein paar Stunden einpacken mussten: „Noch weiter als zum Arsch der Welt kann man ja wohl nicht fahren. Mal gucken was für eine krasse Strafe sich die lieben Beamten einfallen lassen… Raven ist keine Straftat!" Um ihrer Sache Nachdruck zu verleihen und „Open Airs als Kulturgut dieser Stadt" zu propagieren, riefen sie für den 3. Juni eine Demo-Schrägstrich-Party in Berlin aus. Und auch da schritten die Beamten schnell spaßbremsend ein.

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Noch weiter als zum Arsch der Welt kann man ja wohl nicht fahren. Raven ist keine Straftat!—Killing Spree Records

Was es bei der Veranstaltung eines Open Airs zu beachten gilt, kann man übrigens sogar in Workshops lernen: Die Berliner Club Commission bietet in Zusammenarbeit mit der IHK Kurse zu „Free Open Airs" an. Darin lernen Veranstalter, was sie etwa im Umgang mit Behörden wissen müssen. Bisher haben daran in den letzten beiden Jahren insgesamt 250 Nachwuchs-Partyveranstalter teilgenommen. „Unser Ziel ist, dass Open Airs weiterhin fester Bestandteil der Berliner Kulturlandschaft sein können", sagt Lutz Leichsenring, Sprecher der Club Commission auf Anfrage. So wolle die Organisation etwa No-Go-Areas für Veranstalter definieren, also auf die Orte hinweisen, auf die die Behörden ein besonders wachsames Auge haben.

Die Club Commission ist laufend im Austausch mit den Berliner Bezirken. In Spandau konnte letztes Jahr ein Pilotprojekt gestartet werden: Der Bezirk will eine Fläche für spontane Freiluftpartys zur Verfügung stellen und testete dies 2015 ein Wochenende lang. Jetzt soll es diesen Sommer weitergehen, in Kooperation mit einer Hochschule. Die Studenten sollen die Veranstalter beraten und bei der Anmeldung der Partys helfen. So ganz spontan wird Feiern dort also nicht möglich sein.

Schon vor zwei Jahren wurde in Kreuzberg eine Legalisierung der Rave-Kultur gefordert—bislang ohne Erfolg. Foto: imago/Florian Schuh

Dann kann man es auch gleich mit Stadtfesten, Umzügen und anderen, ganz offiziellen Open Air Partys versuchen. Aber selbst da ist der Spaß an seine Grenzen gekommen. Eine gewisse Grundangst ist seit dem Jahreswechsel spürbar: In der Silvesternacht sind in Köln hunderte Frauen Opfer von sexuellen Übergriffen und Diebstählen geworden und auch in anderen Städten gab es ähnliche Vorfälle. Nun ist die Angst groß, bei jedem Massenevent könne sich Ähnliches wiederholen. Beim Karneval der Kulturen Mitte Mai in Berlin wurden zwölf Übergriffe auf Frauen gezählt. Das sind nicht bedeutend mehr als etwa im vergangenen Jahr, doch die Aufmerksamkeit und der Aufschrei ist weitaus größer.

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Ebenfalls hat die Empfindlichkeit gegen Lärm, Party und Menschenmassen zugenommen. So gab es 2014 eine Unterschriftenaktion der Anwohner gegen das Straßenfest des Karnevals der Kulturen, die jedoch nicht verhindern konnte, dass die Bezirksverordneten das Fest trotzdem genehmigten. Beim diesjährigen Myfest, der zweiten Großveranstaltung in Kreuzberg, klagte ein Bewohner der Oranienstraße. Und das recht einfallsreich. Seiner Ansicht nach gefährde das Event seine Sicherheit—im Notfall kämen Rettungskräfte nicht zu seiner Wohnung durch, da Feiernde die umliegenden Straßen blockieren würden. Auch er kam mit seiner Klage nicht durch und das Fest konnte am 1. Mai trotzdem stattfinden.

Jeder Anwohner wird sich zwei Mal fragen, wie lange er sich den Trubel eigentlich noch zumuten will.

Doch eine gewisse Signalwirkung haben solche Ereignisse, und jeder Anwohner wird sich zwei Mal fragen, wie lange er sich den Trubel eigentlich noch zumuten will. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat darauf reagiert und dem Myfest eine Verkleinerung angeordnet. Statt 20 Bühnen gab es in diesem Jahr nur noch acht und die Getränke- und Imbissstände wurden fast auf ein Drittel reduziert. Vertreter des Ordnungsamtes besuchten die Gastronomen im Vorfeld mit dem Hinweis, dass Partys auf öffentlichen Plätzen nicht erlaubt seien. Dabei sollen die Beamten sogar Strafen von bis zu 50.000 Euro angedroht haben—für den kleinen Kneipenwirt könnte das die Existenz bedeuten. Der Plan ging auf: Der 1. Mai gestaltete sich 2016 in Kreuzberg ruhiger als sonst und der ein oder andere Gastronom ließ den Laden lieber ganz zu. Darunter die Bar Luzia, jedoch mit der offiziellen Aussage, die Kommerzialisierung des Myfestes wolle man nicht mehr weiter unterstützen.

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Was bleibt nun also als Lösung?

Der Sommer ist kurz und draußen Feiern ein Vergnügen, das ohnehin nur an wenigen Tagen im Jahr möglich ist. Als Alternative bleiben wohl nur kleine, exklusive Festivals, von denen es immer mehr gibt. Darunter etwa das Lighthouse Festival, das Ende Mai mit 2.000 Besuchern in Kroatien stattfand. Ein Klassiker ist das Nachtdigital, zu dessen 19. Ausgabe in diesen Jahr 3.000 Karten zu haben waren. Ungefähr genauso groß sind das Garbicz Festival in Polen, das Wilde Möhre Festival bei Cottbus oder das diese Wochenende stattfindende Festival Meeresrausch Festival auf der Insel Usedom. Die Karten sind entsprechend schnell ausverkauft und umsonst kommt da keiner rein (außer du versucht es mit waghalsigen Klettereien). Doch dafür ist die Party wenigstens nicht schon wieder vorbei, bevor sie richtig angefangen hat.

Besucher des Nachtdigital Festivals. Foto: Max Öyvind Wiesner/Nachtdigital (CC BY-ND 2.0)

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