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Festivals

Tanzen bis ins Grab, mit der Raving Grandma (72)

Grandma Techno ist mit ihren 72 Jahren der Beweis dafür, dass Alter und Behinderung einen nicht vom Feiern abhalten müssen.

Es ist nicht gerade schwierig, die Techno-Omi im Gewusel des Detroiter Movement Festivals auszumachen. Ihr weißes Haar sticht aus der Menge hervorwie eine strahlende Wolke an einem blauen Himmel und normalerweise tanzt sie auch direkt neben ihrem Elektro-Scooter, der gleichzeitig ihr Hauptfortbewegungsmittel ist. Über die Jahre wurde sie zu einem gern gesehenen Stammgast des Festivals und im Internet gibt es schon unzählige Videos und Fotos, die ihr lebendiges Wesen einfangen—darunter auch eine Minidokumentation, die einer ihre Freunde produziert hat. Aber wer ist Grandma Techno eigentlich wirklich?

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Ihr echter Name lautet Patricia Lay-Dorsey, sie ist 72 Jahre alt und hat in den letzten zehn Jahren jedes Movement Festival besucht—das erste Mal 2005. Nachdem sie ein anderes Festival in Detroit besucht hatten, entschieden Patricia und ihre Freundin sich dazu, sich auch das Movement anzuschauen—ohne einen blassen Schimmer, was sie dort erwarten würde.

„Wir sind zum Hart Plaza gegangen und es war so laut! Nicht nur an den Bühnen, sondern überall. Ich kannte bis dahin überhaupt keine elektronische Musik, aber als ich den Sound hörte, war ich hin und weg", erzählt sie. „Ich weiß noch, wie jemand eine Umfrage vor dem Gelände gemacht hat, als wir das Festival wieder verließen, und die fragten uns dann, ‚mögt ihr lieber House oder Techno?', ich hatte keine Ahnung, wovon die da reden, aber ich wollte gerne so tun also ob, und sagte ‚Techno!' Natürlich gibt es auch noch Dub, Trance und diese ganzen anderen Sachen. Ich hatte einfach keine Ahnung! Aber jetzt geht kein Beat mehr an mir vorbei."

Ihren Namen Grandma Techno erhielt sie eines Jahres, als sie versuchte, mit ihrem Scooter zu wenden, und einige der anderen Festivalbesucher um Hilfe bat, um zur Beatport-Bühne zu kommen. „Auf dem Weg brüllte plötzlich irgendein großer Typ aus dem Nichts, ‚Hier kommt Grandma Techno, lasst sie durch!' und die ganze Menge fing an, ‚Grandma Techno!', zu rufen", erzählt sie. Nachdem sie im April 2015 auch noch auf dem Fotoblog Humans of New York abgebildet worden war, bekam ihre Bekanntheit einen weiteren Schub—seitdem das Movement-Festival ihre Dokumentation über seine Facebook-Seite gepostet hat, ist sie derartiges aber schon gewohnt.

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„Die Jugend ist zu schade für junge Leute" wäre ein schöner Sinnspruch für Patricia—mit zunehmendem Alter wird sie nur noch wilder und authentischer. „Ich würde sagen, dass ich mit 40 anfing, etwas verrückt zu werden, aber erst mit 50 ging das so richtig los. Ich schwöre dir, jedes Jahrzehnt ist verrückter als das vorherige. Es ist, als wäre ich mit dem Alter immer verrückter und freier geworden—als würde immer mehr von meinem eigentlichen Selbst durchkommen. Ich schere mich immer weniger darum, was andere Leute denken." Sie hat bis jetzt noch kein anderes Dance-Festival besucht, aber ist durchaus offen dafür. „Man weiß ja nie. Das Leben ist verrückt. Ich weiß nie, was als nächstes geschieht."

Patricia lässt sich weder durch ihr Alter noch durch ihre Behinderung davon abhalten, das Festival zu genießen. Ganz im Gegenteil setzt sie ihre Bekanntheit dafür ein, auch andere Menschen mit Behinderung dazu zu ermutigen, zu der Musik zu feiern, die sie lieben. Dazu kämpft sie außerdem für mehr behindertengerechte Bereiche auf Festivals. „Ich will nicht bloß ein Areal ganz weit hinten haben. Wir wollen feiern wie alle anderen auch."

Sie erweckt außerdem die Neugier der älteren Menschen. „Die Detroiter Tageszeitung hat so um 2012 etwas über mich geschrieben und mir sind danach mehr ältere Leute bei den Partys aufgefallen als sonst. Das ist toll. Wir sollten generell Dinge generationenübergreifender machen. Ich fände es super, das etwas aufzubrechen und zu schauen, was das mit der Stimmung macht", sagt sie.

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Im Laufe der Jahre ist auch Grandma Techno eine Veränderung bei Technofans aufgefallen. „Ich gehöre ja schon irgendwie zu den alten Hasen vom Movement. Wir haben unser ganz eigenes Ethos in der Szene: Immer aufeinander Rücksicht nehmen. Das ändert sich gerade ein bisschen. Diese jungen Leute, die dem Mainstream folgen, das ist schon eine andere Welt. Die kennen unser Ethos nicht und verstehen unsere Kultur nicht. Es ist eine andere Energie."

„Das macht mich schon ein bisschen traurig", sagt sie, „aber so ist das halt–ich weiß. Sobald etwas den Untergrund verlässt, ändert es sich."

Wenn sie beschreibt, was ihr die Szene bedeutet, dann merkt man schnell, wie sehr sie mit ihrem Herzen dabei ist. „Ich bewundere diese großartigen jungen Menschen, die so voller Liebe, Frieden und Gutmütigkeit sind. Wenn nur andere Menschen auf der Welt wüssten, wie diese Generation wirklich ist. Wenn Menschen einfach nur auf dieses Festival kommen würden und das Schöne und Gute in diesen jungen Menschen sehen würden—es ist einfach unglaublich."

Obwohl Patricia selbst nie Kinder hatte, fühlt sie sich, nachdem sie zu einer Art Aushängeschild für das Movement geworden ist, als hätte sie einen Haufen Raver adoptiert. „Es sind die Kids [die das Movement so besonders machen]. Ihre Energie ist so positiv und ich glaube, dass es schon etwas Besonderes für Liebhaber elektronischer Musik ist. Und ich sage ‚Kids', weil ich fast 73 bin—alle dort sind meine Enkel. Ich bin immer die älteste Person dort. Selbst die 50-Jährigen könnten meine Kinder sein!"

Patricia sieht Parallelen zwischen der Ära des Summer of Love, in der sie aufwuchs, und der heutigen Elektro-Kultur. Es waren vielleicht die wummernden Bässe und die treibenden Hi-Hats, die sie überhaupt auf das Movement brachten, aber es war dann die dort herrschende Kultur, die aus ihr eine Anhängerin auf Lebenszeit machte. „Es sind wirklich die Leute. Sie erinnern mich an die 1960er mit ihrem Peace and Love. Aber vielleicht waren sie auch einfach nur auf E, ich weiß es nicht …", sagt sie. Nach einer kleinen Pause dann, „wahrscheinlich."

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