FYI.

This story is over 5 years old.

Feature

Chorgesang aus dem 3-D-Drucker: TCF schafft den menschlichen Kehlkopf ab

Dazu serviert er 60 Jahre alten chinesischen Tee. Uns hat der Produzent erklärt, warum.
TCF, hier mit einem Roboter, hat sich für seine neue Show einfach einen Chor ausgedruckt

Ein Science-Fiction-Film, der sich als live von Musik begleitete Laserprojektion über den Raum ergießt. Der Versuch, den kommunikativen Raum des Internets als interaktive Oper im Theater einzusperren. Und ein singender Chor körperloser Kehlköpfe aus dem 3-D-Drucker. Das ist—zumindest in Auszügen—der Plan für das morgige Eintagesfestival DECESSION in der Volksbühne zu Berlin. Klingt nach allem, nur nicht nach Musiktheater. Amnesia Scanner, Bill Kouligas & Spiros Hadjidjanos, M.E.S.H. & Michael Guidetti, mobilegirl, Physical Therapy & Florian Ludwig sind mit dabei.

Anzeige

Und TCF. Der Norweger Lars Holdhus, der hinter dem Projekt steckt, wird den besagten plastegedruckten Kehlkopfchor dirigieren, mit einem CG-Modell seiner selbst um die halbe Welt reisen und dazu chinesischen Tee servieren. Gut 60 Jahre alten Tee. In Worten: sech-zig. Nun ist das nicht gerade außergewöhnlich für einen Produzenten und Künstler, der seine Tracks auch schon mal „97 EF 9C 12 87 06 57 D8 B3 2F 0B 11 21 C7 B2 97 77 91 26 48 27 0E 5D 74", mit den (halbverschlüsselten) Kreditkarteninformationen fremder Menschen auf dem Shirt zu einer Konzertinstallation bittet oder Musik aus den Bildinformationen einer Photos von Kämpfen zwischen Protestierenden und Polizei in Griechenland heraus vertont.

Etwas unheimlich klingt es dennoch. Was, wenn uns der 3-Drucker-Gesang gefällt? Wenn plötzlich Roboter und Computer selbst die schönste Musik machen und Holdhus ihnen dafür den Weg ebnet? Wenn wir uns am Ende gar nicht mehr darüber beklagen müssen, dass Spotify und Apple die Künstler kaputt machen?

Natürlich hat TCF dazu seine ganz eigene Meinung, die er uns noch vorher aus seinem Studio heraus verraten hat.

Lars, am Samstag wirst du eine Performance mit Kehlköpfen aus dem 3-D-Drucker aufführen. Wie soll das aussehen, was werden sie anstimmen und wer gibt überhaupt den Ton an—du, eine Software oder die Besucher?
Dieser Kehlkopf-Chor aus dem 3-D-Drucker wird einen Teil meines Livesets übernehmen. Ich selbst werde den Chor über eine Software dirigieren, die ihr Quellmaterial vom Speech & Math Department der Aalto Universität in Helsinki bezieht. Sie haben dafür mit einem mathematischen Modell Samples synthetisiert, die simulieren, wie unsere Stimme klingen würde „ohne" den Vokaltrakt, also ohne Rachen und Mundhöhle bis hin zu den Zähnen.

Anzeige

Wie bist du an diese „Kehlköpfe" gekommen?
Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit Jarmo Malinen von der Aalto Universität und eben dem Speech & Math Department. Die Grundlage liefert eine Magnetresonanztomographie, die an einem ihrer Teammitglieder durchgeführt wurde. Aus den Scans des Kehlkopfes wurden dann die druckfähigen Modelle modelliert. Diese haben wir allerdings variiert, um so eine Geschichte des Organs abzubilden—vom Neanderthaler bis heute. Wir haben auch ein paar spekulative Modelle entworfen, die zeigen, wie sich der Kehlkopf in Zukunft entwickeln könnte.

Künstlerisch gehört die Beschäftigung mit der Physikalische Modellierung, also der synthetischen Erzeugung von Klängen durch die physikalische Realität nachbildende Computermodelle, zu deinen Schwerpunkten. Sind die 3-D-Drucker-Kehlköpfe da ein ein notwendiger nächster Schritt in deiner Forschung?
Es ist einer von vielen Schwerpunkten, ja. Mich interessiert, wie sich unser Verhältnis zu computergenerierten Klängen und Bildern wandelt. Diese ausgedruckten Kehlköpfe stellen da eine Richtung der Entwicklung dar. In Helsinki arbeitet man derzeit an einem mathematischen Modell, mit dem man die menschliche Stimme simulieren können will, basierend auf einer Nachbildung unseres Vokaltrakts und des Kehlkopfes. Allerdings ist diese Forschung noch meilenweit von einer „nützlichen" praktischen Anwendung entfernt, weshalb es sich für mich auch erstmal um eine konzeptionelle Erfahrung handelt.
Für DECESSION habe ich mit der Hilfe von Werkflow und Botspot auch eine computergeneriertes Abbild von mir erstellt, dass ich auch darüber hinaus zu verwenden plane.

Anzeige

Dazu zeigst du Videoarbeiten, die „Computersimulationen, Japan, China und Europa" spielen. Hast du während deiner Forschungen und Reisen eher eine gemeinsame oder eine sehr unterschiedliche Auffassung von Künstlicher Intelligenz in diesen Regionen wahrgenommen?
Es scheint auf jeden Fall einen Unterschied zu geben, wie Künstliche Intelligenz, Roboter und Humanoiden in Europa und Japan behandelt werden. Mir fällt es schwer, auszudrücken, welchen Stellenwert die KI und Humanoiden in der japanischen Kultur haben. Als ich die Labore dort besuchte, wirkte es auf mich, als wären sie eher mit Animismus und Spiritualität verbunden.
In Europa neigen wir eher dazu, diese Sachen als praktische Erfindungen zu sehen—nicht als spirituelle und emotionale. Aber ich denke, dass sich das mit der rasanten Veränderungen, die wir gerade erleben, verändern wird. Dennoch gibt es in Europa noch immer keine Fernsehsendung, die von einem Roboter co-moderiert wird, wie in Japan.

In Interviews zu früheren Arbeiten von dir, wurdest du zitiert, dass du dich lieber „in die Position des Hörers statt des Komponisten versetzt" und dass du „nicht viel von den Hörern erwarte(st), da ich selbst mit dem Komponieren kämpfe." Wie wird sich dieses Hörer-Komponisten-Verhältnis am Samstag darstellen?
Bei der Performance während DECESSION wird es eher wieder eine klassische Hierarchie geben, weil es eine Vielzahl an Elementen gibt, die synchronisiert werden müssen. In diesem Fall wurden lediglich Einzelteile durch Algorithmen geschaffen und von mir dann ausgewählt. Es wird viele improvisierte Momente geben, da ich eine chaotische Show geplant habe, mit der ich sowohl mich als auch das Publikum unterhalten will.
Allerdings arbeite ich derzeit auch an einem Projekt, das die Verschmelzung mit computergeneriertem Material weiter vorantreibt, aber das braucht Zeit. Hoffentlich wird es zum Ende des Jahres fertig sein.

Anzeige

Im Programmtext steht außerdem, dass du während dieser Performance auch chinesischen Pu-Erh-Tee servieren willst, der für gewöhnlich gepresst wird und dann über Jahre hinweg reift. Tee hat bei dir auch vorher schon eine Rolle gespielt. Deine wunderschön betitelte Veröffentlichung "NLeZ7tnzzjTXBsMtD1OO0xPEZ0MmnSKsGZA/yHfSV1gfK H+//xR9oW+uUJO4i3N0lRghdsuEoRSOKjJMZApfoA== enthielt auch ein Päckchen Shui-Xian-Tee. Korrespondieren die Prozesse des Tee-Erntens, Verarbeitens und Reifens mit deiner Anwendung von Modulation, Verschlüsselung und Algorithmen?
Ich werde einen sehr alten Pu-Erh ausschenken, der eine echte Freude für Teeliebhaber sein wird. Der Tee ist aus der Zeit von 1950 bis '60. Mein Release auf Ekster setzt sich mit der Geschichte des Teehandels, heutiger Teeproduktion und unserem Verhältnis zu diesem altertümlichen Getränk auseinander. Für DECESSION interessiert mich dieses Mal der Kontrast zwischen dem Servieren von Tee, der älter ist als ich selbst, auf der einen und eher zukunftsgewandten Visuals auf der anderen Seite.
Alten Tee zu trinken kann als ein Weg verstanden werden, Animismus auf eine andere Art und Weise zu verstehen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es eine Verbindung zu Algorithmen und Verschlüsselung gibt. Aber ich glaube tatsächlich, dass es aus einer Zen-buddhistischen nihilistischen Perspektive Sinn machen könnte, nur bin ich noch nicht so weit. Alan Turing hat mal eine Teetasse an seinen Radiator geschlossen, vielleicht ist das mein Bezug!

Anzeige

Für „97 EF 9C 12 87 06 57 D8 B3 2F 0B 11 21 C7 B2 97 77 91 26 48 27 0E 5D 74" hast du das Foto eines griechischen Protests aus dem Jahre 2011 in Klang umgewandelt. Auch wenn der Hörer sich dieses Hintergrunds nicht bewusst ist, denkst du, dass politischer Inhalt in das Unterbewusstsein geschleust werden kann, wenn auch durch eine Zwei-Wege-Übersetzung oder genauer gesagt: Verschlüsselung?
Ich bin nicht sicher. Ich denke schon, dass alles, was öffentlich existiert, die Vorstellung oder das Konzept, das jemand von einer Platte hat, beeinflusst. Falls du den direkten Bezug nicht hören oder sehen kannst, dann bringen dich andere vielleicht dazu, ihn zu sehen. Ich denke, dieser Song war ein Versuch, zu sehen wie weit wir dieses Konzept treiben können. Und mit der Hilfe von Guy Birkin hat es funktioniert.
Was die Bedeutung angeht, so ist es abhängig vom Zuhörer/-seher. Ich bin nicht sicher, ob ich an die gängige Idee von Unterbewusstsein glaube, aber es gibt vielleicht Wege, durch die wir uns Informationen aneignen, ohne uns dessen wirklich bewusst zu sein. Ich habe aus diesem Grund einige Bücher über Social Engineering gelesen. Jetzt lese ich aus ähnlichen Gründen Bücher, die sich mit Zen Buddhismus beschäftigen.

Karten für DECESSION sind noch erhältlich und kosten dich 20 bzw. 16 € (ermäßigt).

**

Folge THUMP für mehr Kehlkopfnews einfach auf Twitter.