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Techno-Spinning soll ein Gegengift zu kapitalistischer Ausbeutung sein—ich habe es ausprobiert

Zu einem Soundtrack aus Len Faki und Paula Temple strampelten wir den imaginären Berg hoch.

Wenn du passionierter Clubgänger bist, gleicht dein Körper eher einem Abfalleimer als einem Tempel. Den Reiz eines Lebensstils, der sich hauptsächlich von Mitternacht bis morgens erstreckt, machen das faszinierende Glitzern pulsierender Dancefloors, die Unterhaltungen an der Bar mit dem Who is Who der größten Hedonisten der Stadt und die von Drogen befeuerte One-Night-Stands aus. All das führt am nächsten Morgen zum allseits gefürchteten „Was ist gestern Nacht passiert?".

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Ich habe 2011 in meiner Heimatstadt Philadelphia mit dem Auflegen angefangen und merkte, dass dieser Party-Lifestyle recht viel Verschleiß mit sich brachte. Nach ein paar Jahren voller Selbstzerstörung begann ich also mit einem neuen Hobby: Fitness. So konnte ich das reumütige Gefühl, in den meisten Nächten bei Sonnenaufgang immer noch wach gewesen zu sein, direkt nach dem Aufstehen im Fitnessstudio zu einem Soundtrack aus Hardstyle von DJ Zany, kitschigem UK Hardcore von Darren Styles und dem stampfenden, düsteren Techno von DJ Sven Schaller wegtrainieren.

Das Fitnessstudio wurde zu einem Ort, an dem ich, ähnlich wie im Club, meine körperlichen Grenzen austesten und eine Verbindung zur Musik herstellen konnte. Ich begann, zwei Mal die Woche zu Spinning-Kursen zu gehen. Das Hochgefühl, das ich beim Hochradeln eines imaginären Bergs fühlte (und das mich so viel schwitzen ließ, dass ich bei Verlassen des Studios aussah, als wäre ich in einen Pool gesprungen), war unvergleichlich. Mit der Zeit erreichte ich meine Fitness-Ziele, meine Oberschenkel wurden dicker, mein Lehrer entdeckte Diplo und ich wollte wieder anfangen, Bier zu trinken—also beschloss ich, eine Pause einzulegen.

Die Autorin

Zwei Jahre später fand ich mich in Brooklyn zwischen frischgepressten Säften für 12 Dollar, Einzelkursen für 40 Dollar und Studiomitgliedschaften für 200 Dollar pro Monat wieder—Preise, die nicht wirklich zum Verdienst einer Underground-DJ passen. Auch wenn die Stadt mir so viel gegeben hatte, machte sie es mir schwer, mit gesunden Dingen mein ausschweifendes Nachtleben auszugleichen. Das änderte sich allerdings, als in meinem Facebook-Feed eine Veranstaltung namens „Techno Spin Class" auftauchte. Der Kurs wurde vom Dance-Label Sweat Equity aus Brooklyn veranstaltet und sollte am Samstag, den 23. April, in einem noblen Studio der Fitnesskette Equinox in SoHo stattfinden. Er versprach den Teilnehmern die Möglichkeit, zu einem „Techno Only"-Soundtrack von Produzenten wie Truss, Teleself, Paula Temple und Len Faki an ihrer Fitness zu arbeiten. Und das Beste daran war, dass er nichts kosten sollte.

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Die Organisatoren Helen Wu, Webb Allen und Natalie Robehmed haben sich beim Ausgehen in New York kennengelernt und durch ihre gemeinsame Liebe zu stimmungsvollem Techno und Radfahren angefreundet. Sie fingen an, zusammen zu Spinning-Kursen zu gehen, und um die Community in zugänglicher Weise zusammenzubringen, beschloss das Trio, einen Kurs mit Musik zu geben, die außerhalb des Dancefloors selten zu hören ist. Nachdem sie eine Playlist aus einigen ihrer Lieblingstracks zusammengestellt hatten, wandte sich Helen an ihren Lieblings-Fitnesslehrer, Cheyenne, und hier waren wir nun, bei der ersten offiziellen Sweat Equity Techno Spin Class.

Ich trage an diesem Tag meine Lieblings-Techno-Aktivkleidung: Bralette und Warm-up-Jacke von Chromat, schwarze Air Force 1s und meinen Discwoman-Beutel. Um die vollständige Manhattan-Yuppie-Erfahrung zu haben, besorge ich mir bei Dean & Deluca eine Flasche Wasser und einen schwarzen Kaffee. Als ich das Studio erreiche, treffen mich aufgrun meiner von Predator inspirierten Flechtfrisur und den grünen Lippen die durchdringenden Blicke des Smoothie-Bar-Personals. Mir wird klar, dass ich nicht mehr in Brooklyn bin.

Ich gehe die Treppe in Richtung des großen Fitnessbereichs hoch und werde von Frankie Decaiza Hutchinson von Discwoman begrüßt. Sie hat zuvor noch nie an einem Spinning-Kurs teilgenommen und aufgrund meiner schlechten körperlichen Verfassung fühle ich mich ihr verbunden. Wir setzen uns nebeneinander auf zwei Spinning-Räder und immer mehr bekannte Gesichter aus unseren Lieblingsclubs tauchen auf. Cheyenne betritt überschwänglich den Raum, schnallt unsere Füße fest und besteigt eine Plattform ganz vorne im Raum, um sich selbst in den Sattel zu setzen. Dabei sieht er durch das Licht, das sein Gesicht erleuchtet, beinahe fromm aus.

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Nach ein paar Instruktionen wie die Fahrräder zu benutzen sind sowie über den Ablauf des Kurses, beginnt die Musik mit der Intensität unseres ersten Bergsprints. Der erste Track ist gar kein Techno—es ist 160-BPM-Hardstyle. Ich höre, wie Frankie sagt: „Oh Gott." Nach zehn Minuten denke ich: „Ich muss aufhören, ich kann nicht mehr." Ich versuche, mich auf die Musik zu konzentrieren, aber alles, was ich hören kann, ist das Blut, das durch meine Ohren rauscht, und die Enge in meiner Brust, verursacht durch all die Jahre in verrauchten Clubs.

Schließlich sagt Cheyenne, wir sollen eine Pause zum Durchatmen machen. Ich greife verzweifelt nach meinem Wasser, atme hörbar durch den Mund und habe Probleme, mich auf den Beinen zu halten. Um das Ganze zu überspielen, wende ich mich an Frankie und versuche, eine Art Witz zu machen—aber das Beste, was mir einfällt, ist: „Ich glaube, es hat jemand gefurzt." Nach der Pause vernehme ich vertraute Klänge—„Brockweir" von Truss. Als die ungleichmäßige Synthie-Linie einsetzt und die pulsierende, dunkle Bassdrum übernimmt, teilt sich die Anstrengung unter uns auf. Das Ganze wird zu einer kollektiven Erfahrung der körperlichen Ausdauer, da wir dieselbe Musik hören, zu der wir uns sonst im Nebel des Dancefloors anfreunden.

Auch wenn das Adrenalin und der berauschende, aber trotzdem intelligente Beat von Paula Temples „Colonized" versuchen, mich zu überzeugen, dass dies eine religiöse Erfahrung ist, fühlt es sich, als am Ende des Kurses das Licht angeht, nicht anders an als am Ende eines Raves. Alle sind außer Atem, haben rote Wangen und sind verschwitzt. Ich schaue auf mein Handtuch herab, es ist voller Make-up, das ich noch von einem Fotoshooting zuvor trug. Stolz und ein Gefühl, etwas erreicht zu haben, erfüllen den Raum.

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Ich schaue, wie es Frankie geht. Sie hat den Rest des Kurses hinter sich gelassen, indem sie die meisten Kilometer hingelegt hat. Sie streitet ihren Triumph ab und während sie sich das Gesicht abwischt, stöhnt sie: „Ich muss danach noch mit dem Fahrrad nach Park Slope fahren." Ich denke eher daran, die luxuriösen Badeprodukte und heißen Handtücher zu benutzen.

Nicht nur im Namen spielt Sweat Equity mit Unternehmenskultur. Ihre „Holiday Office Party" im Dezember 2015 im Bossa Nova Civic Club in Brooklyn beinhaltete schlechte Witze an den Wasserspendern und das Verbrennen von Dollarnoten mit jedem Kauf eines Compilation-Tapes. Ihre Events werden mit einem Jargon beworben, den du eher von einem Buchhalter als von einem Plattenlabel zu hören bekommst. Selbst die Techno Spin Class wurde als Chance beworben, der Schinderei eines Nine-to-five-Lifestyles zu entkommen, und die Facebook-Seite stellte die Frage: „Macht der Kapitalismus dich fertig? Gibt dein Schreibtischjob dir das Gefühl, inaktiv zu sein?"

Aber selbst mit diesem charakteristischen Augenzwinkern war Techno Spin Class schließlich ein ernster Versuch, außerhalb des Clubs eine Gemeinschaft aus Musikliebhabern aufzubauen.

Dan Creahan, Mitbegründer von Sweat Equity, erklärte, dass das Event sich in eine größere Bewegung einfügt, die Dance-Musik und Fitness-Kultur verbindet. „Es gibt anhaltende Diskussionen darüber, durch nüchternes Partymachen, gesundes Leben usw. alternative Perspektiven auf die Dance-Musik-Kultur zu fördern—und wie man eine Kultur aus Respekt, gegenseitiger Unterstützung und Gesundheit außerhalb der Exklusivität des Clubs/Raves vernünftig erweitert", so Creahan per Mail.

Als die Endorphine weniger werden und meine Muskeln sich wieder anfühlen wie weiche Nudeln, werde ich von dem Wissen getröstet, dass es mehr davon gibt—die Organisatoren sagten mir, dass sie hoffen, diese kostenlose Kurse jeden Monat anbieten zu können. Was bedeutet, dass der schicke, gesunde Lifestyle für die Leute zugänglich ist, die die Musik machen, die bei diesen Kursen gespielt wird.

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