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Mauern durchbrechen, dabei immer schön lächeln—Untolds ‚Black Light Spiral‘

Aus Langeweile führt doch keiner einen Blitzkrieg im Studio. Oder doch? Auf seinem Debütalbum klingt der Produzent und Hemlock Recordings-Mitbetreiber Untold so roh und unbefangen wie nie zuvor.

Aus Langeweile führt doch keiner einen Blitzkrieg im Studio. Oder doch? Der britische Produzent und Hemlock Recordings-Mitbetreiber Untold hat soeben sein Debütalbum Black Light Spiral veröffentlicht, auf dem er er so roh und unbefangen wie nie zuvor klingt—so als würde man Techno wie eine Platte der New York Dolls produzieren. Peyman Farahani hat Untold auf den Zahn gefühlt und sieht einen sich unentwegt weiterentwickelnden Künstler.

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Fünf Minuten heulen in dem Opener „5 Wheels" die Sirenen, als stünde das jüngste Gericht bevor; klingt es, als stiegen die monströsen Kampfmaschinen aus Spielbergs Krieg der Welten empor. Untold macht von der ersten Sekunde seines Debütalbums Black Light Spiral unmissverständlich klar: Es gibt kein Entkommen!

In den nächsten 35 Minuten und im Verlauf von sieben weiteren Tracks entfesselt Jack Dunning alias Untold ein effektives Inferno. Der einstige Webdesigner huldigt hier nicht brav seinen Einflüssen von Jungle und Grime über Dubstep bis Techno. Er unternimmt auch keinen beflissenen Versuch, etwas konkret Neues in diese Musiken einzubringen. Black Light Spiral klingt zu rudimentär, zu brachial, zu spontan. In der Wahrnehmung eines Jack Dunning ist es nicht mehr und nicht weniger als „fieses Rave-Gezische". Auf die Frage, was ihn inspiriert habe, antwortete er lapidar: „Unfug und Langeweile". Das könnte wiederum die unglaublich kurze Entstehungszeit erklären: Das Album wurde binnen einer brütend heißen Woche im Juli 2013 fertiggestellt, kurz bevor Dunning mit Sack und Pack und Gerätschaften nach Hertford zog. Mal ehrlich: So aus Langeweile führt doch keiner einen Blitzkrieg im Studio und präsentiert anschließend stolz sein Erstlingswerk!

Jack Dunning wuchs wie die meisten Dubstep-Produzenten mit Jungle und Hardcore auf. Er hat zwar einen Bachelor in Frühe Elektronische Musik, konnte aber nie verstehen, dass seine Dozenten keinerlei Verbindungen zwischen Steve Reich und Aphex Twin sahen. Überhaupt empfand er das Studium als uninspirierend und einschränkend. Es beraubte ihn geradezu seiner Lust, unbefangen Musik zu machen, so wie in den Anfangszeiten, als es nur darum ging, mit einem Sampler drauflos „zu jammen, zu experimentieren, einfach nur Spaß zu haben".

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Dubstep bedeutete eine Befreiung aus der Sackgasse, in die sein furztrockenes Studium ihn geführt hatte. Das synkopisch schreitende Bassmonster aus South London, dieser Godzilla aus der Konsistenz einer gigantischen Götterspeise, war genau das heiße Ding, auf den alle gewartet hatten. Insbesondere all jene, die voranschritten und Dubstep über dessen Tellerrand schoben—so wie Untold, Ramadanman und Pangaea. Sie zählen zu den Vorreitern einer neuen Bewegung, einer zweiten Generation Dubstep-Produzenten, die sehr schnell begriffen, dass nur ein Durchbrechen aller Genrebarrieren ihr Fortbestehen sichern könnte. Zwei legendäre Clubnächte in London spielten dabei eine entscheidende Rolle: Die FWD>>-Partys und die DMZ Nights waren für das Aufkommen dieser Bewegung gewissermaßen das, was die Sex Pistols für Bands wie Joy Division, The Fall oder The Smiths bedeuteten. Untold und Andy Spencer gründeten Hemlock Recordings, das Label, das James Blakes erste Platte herausbrachte. Ramadanman, Pangaea und Ben Ufo riefen Hessle Audio ins Leben. Zusammen mit den bereits existierenden Labels von Kode9 (Hyperdub) und Scuba (Hotflush Recordings) formierten sich diese vier Plattenfirmen zur Speerspitze einer—nennen wir es mal—New Wave of UK Bass Music. Oder wie Larry Fitzmaurice das Viergespann in seiner Rezension von Black Light Spiral bezeichnete: „The Four H‛s of Bass Music". In seiner Vision für Untold und Hemlock erklärte mir Dunning dann, dass es ihm schon immer darum ging, „an einer ‚Konversation' darüber teilzunehmen, was musikalisch gerade spannend ist". In Anbetracht der Tatsache, dass es ihm in sechs Jahren mit nahezu jedem Release gelang, etwas Neues einzubringen, wirken seine Worte äußerst bescheiden. Schließlich ist Untold niemand, der einfach nur in einem Strom mitschwimmt. Seine Londoner Komplizen und er toben vielmehr unbeirrt in der Geschichte der elektronischen Tanzmusik herum. Sie spielen mit Rhythmus, Tempo und Dynamik, wie Jungs, die tatsächlich nur Unfug im Kopf haben.

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Es verwundert also kaum, dass Untold nach nur einem Jahr seine von Anbeginn recht eigenwillige Idee von Dubstep in ein neues Kapitel führte. Mit seiner ersten EP Gonna Work Out Fine,—inspiriert von DJs wie Oneman und Brackles, die bei FWD>> im Club Plastic People Dubstep mit UK Funky mixten—warf er House, Grime, Jungle, sogar Techno in einen Topf und lieferte ganz im Sinne von „Unfug und Langeweile"—laut Waschzettel—„two slabs of trademark ‚what the f**k?!' bass music … Wot u call it? As the tune says: ‚Don't Know. Don't Care.'" Dunning ist kein Purist. Er mag es, „wenn Genres miteinander kollidieren und mutieren". Oder verschmelzen, wie in der dreiteiligen Change in a Dynamic Environment-Serie.

Mit drei zusammenhängenden Platten gab Untold in der „Konversation" über Techno, die nicht zuletzt durch die wachsende Bedeutung des Berghain angekurbelt wurde (nicht zu vergessen Scubas Sub:stance-Reihe), ein beeindruckendes Statement ab. Er lotete für sich das Hoheitsgebiet von Techno vollends aus und setzte zudem der „Reese Bassline" ein neues Denkmal. „Ich mochte die Tatsache, dass ein Kultsound des Jungle ursprünglich von einer Techno-Platte gesampelt wurde." Er spricht von der Bassline aus Kevin Saundersons „Just Want Another Chance", die im Drum‛n‛Bass der 90er nicht mehr wegzudenken war. Wenige Monate später dann gründete Untold sein Technolabel Pennyroyal, um mit augenzwinkerndem Humor ziemlich knallhart auf die Zwölf zu dreschen.

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„Unfug und Langeweile¡ erscheinen mithin ein Grundmotiv seines Schaffens zu sein: Teilnehmen, sich aber nicht anpassen; nicht in einer „Konversation" verharren, sondern sich unentwegt weiterentwickeln; zu jedem Zeitpunkt Mauern durchbrechen und dabei immer schön lächeln! So gesehen bewegte sich Jack Dunning geradewegs auf Black Light Spiral zu. Und wie ein kleiner Junge, der seine mit sehr viel Ausdauer gesammelten Matchbox-Autos mit Feuerwerkskörpern in die Luft jagen will, zersprengte er mit einem Mal alles, was er bis zu diesem Album verinnerlicht hatte. Black Light Spiral, so Untold, „will sich dem lupenreinen Clubsound widersetzen". Es soll sich unmittelbar anfühlen und unvollkommen sein, als würde man „Techno wie eine Platte der New York Dolls produzieren".

Weiter im Text:

Wenn er nun plant, jeden Dancefloor zu demolieren, dann wird ihm das mit seiner audio-visuellen Live-Performance von Black Light Spiral (mit Visuals von Current Current) ganz gewiss gelingen. Zumal sich Untold, wie er mir verriet, vom Dancefloor distanzieren und seinen Fokus nunmehr auf experimentelle Musik richten will. Das Thema der neuen „Konversation", an der er inzwischen rege teilnimmt: Modulare Synthesizer.

Untold, Black Light Spiral, Hemlock Recordings, Vinyl / MP3

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