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Warum Berliner Technoclubs der einzige Ort sind, an dem du glücklich sein kannst

Das mit dem Fotoverbot war wirklich eine gute Idee. Danke Berghain. Danke Berlin.

Die Sonne blinzelt durch den Vorhang und findet dein Gesicht. Dass du davon wach wirst, ist schon mal ziemlich beschissen, denn gerade hast du noch von einem Tauchgang an der Pazifikküste geträumt und das war eindeutig schöner als die Spuckepfütze, in der dein labbriger Kopf in Wirklichkeit liegt. Außerdem hattest du letzte Nacht ein paar Drinks zu viel und dein top-fitter Frühaufsteher-Mitbewohner macht sich lautstark über jedes beschissene Detail deines jämmerlichen Daseins lustig. Er kommt gerade vom Joggen zurück, eine Tüte frischer Brötchen in der Hand. Bevor er unter die Dusche springt, schießt er noch schnell ein Bild von deinen Augenringen und stellt es auf deine Facebook-Pinnwand.

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Beim Frühstück hat das Posting schon 50 Likes und 20 Comments, sogar Janina aus Hannover findet es irgendwie süß. Sie ist zu Besuch bei dir in Berlin und dreht durch wegen der Milchschaumkrone auf dem Kaffee, den du ihr zum Frühstück gekocht hast. Janina denkt jetzt sehr konzentriert über irgendwas nach, dann legt sie ein Designermagazin und einen Aschenbecher neben die Kaffeetasse, Filter drüber, Instagram. Der Spaziergang mit der Familie wirft ein Facebook-Coverbild ab (epischer Horizont), Janina macht später noch einen After Sex Selfie (weil die Augen leuchten megaschön, obwohl du so entspannst bist), im Fußballstadion die Bengalos und die Choreo mitfilmen, danach Essen, lustige Grimasse, haha, geile Konzert-Lightshow usw.

Um zwei Uhr nachts ist der ganze Scheiß vorbei. Die Türsteherin nickt dir bestätigend zu, du gibst deine Jacke ab, nimmst ein paar Drinks und tanzt, bis du irgendwann irgendjemandem in die Arme fällst, oder auch nicht—jedenfalls kannst du hier jede Sekunde ungefiltert genießen, weil nicht überall irgendwelche Idioten mit ihren scheiß Kameras rumstehen.

Es gibt schon genug Witze und Tumblr-Blogs darüber, aber langsam wird aus diesem Fotoverbot mehr als eine lustige Macke von Berliner Clubbetreibern. Wir alle hassen Verbotsschilder, aber diese eine Einschränkung wird mit jeder neuen iPhone- und Android-Generation wertvoller und macht Berliner Clubs noch attraktiver. Es sind ja nicht nur Freunde, Touristen und andere Kamerakinder, die uns pausenlos dokumentieren. Dank Prism nehmen auch unsere amerikanischen Bündnispartner sicherheitshalber erstmal alles auf, was wir tun. Wenn es unverdächtig ist, wird die E-Mail, das Telefonat, die „Reisebewegung", der Facebook-Chat eben wieder verworfen. Du brauchst keine Paranoia, um das nicht zu mögen.

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Die Berliner aber sind paranoid, schon aus historischen Gründen hassen sie jede Form von Beaufsichtigung. Weil Berlin spätestens seit dem Mauerbau 1961 quasi von der ganzen Welt unter Beobachung steht, hat man hier ein besonderes Gespür für so was. Schon in den Neunzigern waren Kameras im E-Werk verboten, die taz und andere Medien haben Clubmacher und Feierbiester etwas zu sehr genervt. Wirklich populär wurde das Verbot aber erst 2003 im Berghain-Vorgänger Ostgut, wo das Kameraverbot seit der ersten Klubnacht rigide durchgesetzt wurde. Andere Clubs (auch außerhalb Berlins) haben nachgezogen und so ein bisschen Freiraum und Privatsphäre für uns geschaffen.

Wenn du genau darüber nachdenkst, sind Clubs in Berlin eigentlich der letzte verbliebene Ort auf der Welt, an dem du unter Leuten bist und trotzdem komplette Freiheit verspürst, komplett loslassen kannst. Ein Ort, von dem du erzählen musst, weil du ihn nicht auf Fotos zeigen kannst. Ein Ort, an dem du selbst gewesen sein musst, weil du nicht durch deine Twitter-, Facebook- und Instagram-Feeds eh weißt, wie es drinnen ist. Ein Ort, der komplett anders ist als der Rest der Welt.

Denk daran, wenn du das nächste Mal den Drang verspürst, dein Handy trotzdem für ein Foto rauszuholen, oder wenn dich die Türsteher nerven mit ihrem ewigen „Keine Fotos"-Bla. Das mit dem Fotoverbot war wirklich eine gute Idee. Danke Berghain. Danke Berlin.

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