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Mission Completed - 10 Jahre SoS

Am 30. August 2003 gründete Robert Jelinek den State of Sabotage. Auf den Tag genau 10 Jahre später schließt sich der Kreis und der Staat, der im Laufe der Zeit weit über ein Kunstprojekt hinausgegangen ist, wird aufgelöst. Für uns hat sich Robert Zeit...

Portät von Bree Zucker, alle anderen Bilder mit freundlicher Genehmigung von Robert Jelinek/SoS

Kunst, die nicht in einem Atelier gemalt und anschließend in einer Galerie an reiche Börsenmakler verkauft wird, hat in Österreich eine lange Tradition. Während in den USA Anfang der 60er Leute wie Roy Lichtenstein den pervertierten Kunstbetrieb zu bescheißen versuchten, in dem sie auf Elemente der Popkultur zurückgriffen und vervielfältigten, erklärten die Wiener Aktionisten im wahrsten Sinne des Wortes Scheiße zu Kunst, als Günther Brus auf den Katheder der Universität Wien defäkierte. Fast 40 Jahre später versucht der Wiener Künstler Robert Jelinek auf die großen, gesellschaftlichen Umwälzungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts eigene Antworten zu finden. Mit Sabotage Recordings gründet er in den 90ern ein Techno-Label, nebenbei wendet er sich dem Thema Duft zu und kreiert „Cash“, ein Parfüm, das aus dem Duft von Banknoten besteht. Viel weitreichender ist jedoch das Projekt State of Sabotage, die Gründung eines eigenen Staates im Jahre 2003. Genau zehn Jahre später wird dieses Projekt nun beendet, das weit über die Grenzen der Kunst hinausging. Wir freuen uns, in der Photo Issue 2013 eine Kollaboration von Robert Jelinek und Bree Zucker featuren zu können und dass sich Robert Jelinek eine Stunde Zeit genommen hat, um mit uns über seinen State of Sabotage und die letzten zehn Jahre zu sprechen.

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VICE: Hallo Robert. Das Los der Spätgeboren ist, dass wir immer nur das Ende, aber nie den Anfang mitbekommen. Wie war das damals, als du SoS gegründet hast?
Robert Jelinek: Im Jahr vor der Staatsgründung 2003 hatte ich eine Gastprofessur in Helsinki. Mein Gegenstand dort waren von Anfang Mikronationen und Mikrostaaten. Auf einer unbewohnten Insel vor Helsinki, Harakka, haben zwei meiner damaligen Studenten ein Festival kuratiert und mich gefragt, ob ich nicht auch etwas machen möchte. Ich war zwar voller Elan, aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Staat im Kopf. Weil ein Staat immer auf eine bestimmte Geschichte, also auf Blutvergießen, Freiheitskämpfe und Widerstände zurückgreift und es diesen ganzen Hintergrund bei einem aus dem Nichts gegründeten Staat natürlich fehlt. Aber Franz Graf hat dann für mich ein Logo entworfen und es gab auch eine Hymne.

Was war damals das Thema des Festivals?
Auf dieser Insel fand damals das erste internationale Treffen von Mikrostaaten statt, zu dem Leute aus der ganzen Welt gekommen sind: aus Amerika, Neuseeland, Australien, Deutschland, Schweden. Es waren Vertreter verschiedenster Mikronationen und eben auch ich. Im Vorfeld habe ich mir schon gedacht, dass ein Manifest notwendig ist. Mein Wunsch war immer der, dass man mit diesen Mikronationen ein Votum bekommt, eine Stimme bei den Vereinten Nationen. So wie es zum Beispiel Mikronesien mit den Marshall Islands hat. Das sind über 170 Inselgruppen, die zusammen eine Stimme bei der UNO erreicht haben.

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Das ist ziemlich beeindruckend für eine Mikronation.
Es haben sich ja auch in meinem Staat 10 Jahre später 14.000 Staatsbürger zusammengesammelt. Mir kam also die Idee, dass ich noch einmal auf die Frage zurückgreifen muss: Was ist Sabotage? Der Begriff kommt davon, dass die Bauern beim ersten Aufkommen von Industrie ihre Holzschuhe, die „Sabot“ hießen, in die Maschinen reingeworfen und sie somit gestoppt haben. Der Vorgang wurde dann Sabotage genannt und so wurde für mich der Bezug zwischen Mensch und Maschine hergestellt.

Bist du so auch zu Giger gekommen, der ja in seinen Arbeiten auch immer wieder diesen Zusammenhang aufgreift?
Ich habe dann über zwei Ecken erfahren, dass der Giger in Zürich wohnt, bin zu ihm gefahren und habe ihn mit der Idee konfrontiert. Er war sehr angetan, also habe ich bei der Caritas Skischuhe in der Größe 56 gekauft, ihm die geschickt. Er hat mir dann via Fax immer Entwürfe und Zeichnungen zukommen lassen, die ja auch Teil der SoS Dokumentation sind. Zur Gründungsfeier ist er dann sogar mit seiner Frau gekommen. Das war sozusagen der Startschuss für meinen Staat.

Giger ist ein sehr beeindruckender Künstler.
Ja, ich schätze ihn sehr. Er ist ein super Gruselopa und ich habe als Künstler riesigen Respekt vor ihm und seinem Werk.

„Give up the right to rule yourself, to the society under the condition that It also gives up the right to rule over you.“ War das auch eine Grundidee für die Staatsgründung?
Das ist von Thomas Hobbes. Es war ein Leitsatz, auch schon wenn man sich ansieht, was ich davor gemacht habe. Auf die Frage, was habe ich davon, Bürger des SOS zu werden, kann ich klar antworten: Nichts. Man kann keine Steuern sparen, man kann sich nicht verstecken, es gibt kein Gesundheitssystem oder Arbeitsplätze. Es ist bei Staatsgründungen immer dieselbe Falle, in die man hineintappt. Mich interessiert ausschließlich der Freiraum, den das auslöst und die juristischen Graubereiche, die ich versucht habe zu untersuchen.

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Interessant ist auch, dass bei Sabotage jeder Staatsbürger so lange Präsident ist, bis der nächste Staatsbürger hinzukommt.
Ja, ich wollte diese klassische Hierarchie aufheben.

Aber Kanzler bist trotzdem du?
Ja, aber ich mag diese Bezeichnungen nicht. Ich bevorzuge Non-Präsident, weil es ja auch keine Wahlen gibt. Aber es tauchte natürlich gleich von einigen Leuten der Wunsch auf, die verschiedensten Ministerposten zu bekleiden. Interessant sind auch Dutzende Anfragen von Leuten von überall, die für SoS als Sportler bei den Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften mitmachen wollten. Aber das ufert mir dann zu weit aus. Möglicherweise hätte es für Aufmerksamkeit gesorgt, aber es hätte mich nicht dorthin geführt, wo ich eigentlich hinwollte. Das wäre eine barocken Ausschmückung des Staates geworden. Ich wollte aber immer nur beim schlichten Skelett des Staates bleiben.

Woran hast du dich bei der Verfassung orientiert?
Es hat bis 2005 keine Verfassung gegeben. Ich war damals fast gezwungen eine Verfassung zu machen, weil zu dieser Zeit viel Unfug gemacht worden ist, vor allem mit den Pässen. Ursprünglich wollte ich es wie die Briten machen, die ja auch keine geschriebene Verfassung haben, sondern ein Gewohnheitsrecht. Daran wollte ich mich halten, nur wie sollte ich ein Gewohnheitsrecht einführen, wo keine Gewohnheit ist. Also musste ich eine Verfassung aufschreiben. Es gibt einfach gewisse Regelungen, denen man sich fügen muss. Man braucht zum Beispiel als Staat ein physisches Territorium, das man betreten kann, wo mindestens eine Person wohnt, eine Bevölkerung, die dort aber nicht wohnen muss, bis hin zur Exekutive.

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Was war das Problem mit den Pässen, von dem du gesprochen hast?
Es war damals so, dass jemand aus Lagos einen Pass haben wollte. Ich habe ihm dann gesagt, dass er mir im Gegenzug auch etwas zuschicken solle. Kurze Zeit später ist ein reliefartiger Jazzmusiker auf Holz bei mir angekommen und zwei Wochen später waren es vier Freunde, die Kunst gegen einen Pass getauscht haben, dann 40 und am Schluss waren es 800.

Du bist auch schon mit dem US Heimatschutz in Konflikt geraten, als du zu deiner Ausstellung nach Cincinnati geflogen bist. Was ist da die Geschichte dahinter?
2005 wurde ich nach Cincinnati eingeladen, eine Ausstellung zu machen. Als ich dort hingeflogen bin, hatte ich im Koffer natürlich meine privaten Sachen und für die Ausstellung Fahnen, Wimpel und 33 Pässe. Am Flughafen ist dann das Gepäck nicht mehr aufgetaucht, also habe ich drei Tage im Februar ohne Zahnbürste in Cincinnati verbracht und war dementsprechend angepisst. Das Gepäck kam dann einen Tag vor der Ausstellungseröffnung, aber alles drin war vollkommen kaputt und oben drauf ein Brief von Homeland Security, dass die 33 Fantasy-Pässe und alle Fahnen und Wimpel beschlagnahmt seien, weil sie „immoral“ seien. Dabei hatte ich noch Glück, denn als ich den Pass produzieren lassen habe, habe ich mich nach langem Überlegen dazu entschieden ganz hinten eine Dislaimer mit „Das ist Kunst“ zu machen. Das war der Grund, weshalb ich dann wieder alles zurückbekommen habe und weshalb die Medien auch ganz anders damit umgegangen sind.

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Du bist aber nie in Haft gekommen, oder?
Nein. Ich konnte mehr oder weniger unbescholten wieder nach Wien reisen und als ich zu Hause angekommen bin und den Computer eingeschaltet habe, hatte ich dann mehr als 30 Interviewanfragen von überall: ABC, CNN, Le Monde und FAZ, aber keine aus Österreich. Alle haben sich gefragt, wieso sich die Homeland Security, später dann auch das FBI für österreichische Kunst interessieren. Nach mehr als zwei Monaten kam dann dieses FBI-Evidence-Sackerl mit meinen Sachen, das ich bis heute aufgehoben habe.

In einer anderen, ziemlich verstörenden Fotoserie „Zelus Domus Tuae Liberet Me“ werden Menschen in Ku-Klux-Klan-Roben fotografiert. Das funktioniert auch bei uns ziemlich gut.
Eigentlich hat das mit dem Ku-Klux-Klan gar nichts zu tun. Es sind Pestärzte. Das ist ein Spruch aus der Pestzeit, der früher an den Türen gestanden ist. Die Pestärzte gibt es schon seit dem Cash-Parfum 1998 und es wird sie auch nach der Staatsauflösung noch geben. Die kommen immer wieder irgendwo vor und verschwinden dann wieder. Die Roben von Pestärzten hatten lange Nasen und Brillen darunter. Außerdem hatten sie einen Kolben aus Myrrhe und Weihrauch, weil man ja geglaubt hat, die Pest würde durch die Luft verbreitet. Damals, als ich das Parfum gemacht habe, war ich auf der Suche nach einer Visualisierung, die Duft symbolisiert. So bin ich also auf die Pestärzte gekommen.

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Wie stehst du zu den neuen Medien? Ich hab gesehen, dass du früher MySpace genutzt hast, jetzt Facebook, Twitter nicht glaube ich …
Facebook nutze ich als Privatperson eigentlich nicht, ich benutze es nur um Informationen zu verbreiten. Ich kenne fast niemanden von den Leuten, mit denen ich befreundet bin. Das hat ja kaum politische Inhalte, sondern ist eher zu etwas für Leute mit langweiligen Leben verkommen.

Aber in Ägypten waren Facebook und Twitter maßgebend an den Umbrüchen beteiligt.
Richtig. Das ist auch gut so. Du bekommst halt das von den Leuten mit, mit denen du befreundet bist, wir hier sehen also immer nur denselben vorgekauten Schleim, nichts wichtiges.

Der Staatsgral ist auf die drei Museen aufgeteilt. Wann kam die Idee, dass der Staat dann sein Ende findet, wenn jemand die drei Schlüssel zusammenbringt?
Die Idee hatte ich von Anfang an. Ich habe mir schon zu Beginn überlegt, wie lange dieser Staat existieren soll. Ich finde es wichtig, dass man sich Ziele oder Etappen setzt. Und mir war klar, dass fünf Jahre zu wenig sind, zehn aber vollkommen ausreichend. Dann dachte ich aber, wenn ich schon dieses Ende von 10 Jahren habe, dann soll trotzdem jeder die Möglichkeit haben, den Staat vorzeitig aufzulösen.
Alle drei Punkte sind nicht weiter als 700 km von den Polen entfernt, also entweder von der Arktis oder Antarktis. Ich bin zu jedem einzelnen selbst hingefahren und hab den Museen die Skulpturen auf den Tisch gestellt. Das sind die einzigen drei Museen, die in Besitz irgendeiner Arbeit von mir sind. Ich hätte es natürlich auch mit der Post schicken können, aber das wollte ich nicht. Eines der Museen ist in Spitzbergen, da bekommst du, wenn du aus dem Flugzeug steigst ein Gewehr in die Hand gedrückt. Jeder. Und ich hatte eines, da war ein Hakenkreuz eingeritzt. Du bekommst zwei Magazine und immer wenn du aus dem Dorf gehst, musst du laden, weil dort die Bären einfach herumspazieren. Das ist verrückt dort, aber es war der beste Urlaub ever.

Du hast ja mit relativ vielen Künstlern zusammengearbeitet. War das auch um den Staat aufzuwerten? Jonathan Meese zum Beispiel ist ein großer Name.
Mit dem Jonathan war das sehr easy. Uns beide verbindet Zardos, der Film. Ich habe ihn mindestens 100 Mal gesehen und Jonathan behauptet ihn 550 Mal gesehen zu haben. Wir können ihn also auswendig und ich habe immer wieder seine Sprüche über den Film gelesen und zu dieser Zeit hat er immer gesagt, dass es ihm der Staat befiehlt. Mit einigen Künstlern hat es sehr gut funktioniert, durch den Staat war das alles anders. Du konntest sagen: Ich habe ein Gelände, ich kann dir da was anbieten, da kannst du ganz andere Sachen machen. Aber eine Kapitalsteigerung war es nicht für mich.