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Wie jemand mit einer Anti-Tech-House Petition an die UN den Musikjournalismus getrollt hat

Mit lediglich vier Minuten deiner Freizeit und etwas Humor kannst du so einiges anstellen.

Musste mit seinem Gesicht für die Petition herhalten: Carl Cox. Foto von imago

[Die folgenden Ereignisse haben sich so oder so ähnlich eventuell zugetragen.] Dienstagmorgen in der THUMP-Redaktion. Wie jeden Morgen begeben wir uns als erstes auf die Suche nach witzigen, spannenden und topaktuellen Themen. Nichts neues zum Berghain?! Panik! Aber gut, Ruhe bewahren! Und siehe da, wir stießen auf eine vielversprechende Petition auf change.org. Ein vermeintlich britischer Nutzer namens "Jeremy Cocks" fordert darin keine geringe Institution als die Vereinten Nationen dazu auf, Tech-House zu verbieten.

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Das Genre sei eine Beleidigung für jedwede Form der Musikalität und für die Kultur, der es entstammt. Es sei wie "all diese schrecklichen modernen Remakes von Filmen, nur in Musikform. Wer die Neuauflage von Total Recall gut fand, mag wahrscheinlich auch Tech-House." Begleitet wird die Tirade von einem Foto von Carl Cox höchstpersönlich.

Im letzten Absatz nimmt sich Cocks noch selbst auf die Schippe und schreibt, dass er selbst nur eine "27-jähriger elitäre Nudel" sei, die "nichts Besseres zu tun hat, als solche Petitionen zu verfassen."

Das klingt doch lustig. Als aktivistische Kritik an der Dominanz des Genres (die es ja auch schon bei THUMP das eine oder andere Mal gab) verpackte Kulturkritik, nur echt mit einer Spur Selbstironie.

Oder?

Digitale Aufmerksamkeitsökonomie vorgeführt

"A Petition Has Been Launched To Ban Tech-House" titelte es etwa wenig später in einem größeren Magazin für elektronische Musik. Da hatte Cocks gerade mal 75 Unterstützer gesammelt. Doch auf diesen Artikel hatte er nur gewartet, wie er in einem weiteren Kommentar verriet (während die Petition bereits die Marke von 300 Unterschriften überquert hatte).

Die Petition gehe auf die Wette mit einem Freunde zurück. Cocks wollte zeigen, dass es nicht viel Zeit brauche, um die Aufmerksamkeit bekannter kommerzieller Medien zu bekommen, die solche Geschichten gerne aufgreifen und reproduzieren. Lediglich vier Minuten habe er für seinen "Shitpost" gebraucht und die Reaktionen darauf bestätigen seinen Eindruck "eines halbgaren Journalismus, der vorhersehbare Reaktionen von Leuten heraufbeschwört, die nicht einen ganzen Satz lesen können." Wer Musik wirklich mag, solle den Rechner ausmachen und in einen Plattenladen gehen. Niemanden interessiere, was du von Musik hältst, egal wie viel Zeit du auch in den Kommentarspalten verbringen würdest.

Die Wette hat er jedenfalls gewonnen. Und auch wenn Cocks dabei die Frage vernachlässigte, ob manche Medien solchen Clickbait-Clubmusikjournalismus nicht bräuchten, um auch die tendenziell weniger geklickten, aber aufwendigeren, hochwertigeren Inhalte finanzieren zu können, so hat er doch die digitale Aufmerksamkeitsökonomie zeitsparend vorgeführt.

Nur wer unternimmt jetzt wirklich was gegen die Vorherrschaft von Tech-House? Und wo versteckt sich die Selbstkritik in diesem, unserem Artikel?

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