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techno

Wir schreiben das Jahr 2016: Entwickeln sich House und Techno weiter oder stagnieren sie?

Kevin Saunderson, MK, ANNA und andere urteilen über den Zustand unseres musikalischen Fundaments.
Illustration by Che Saitta-Zelterman. All other photos courtesy of the artists.

Illustration von Che Saitta-Zelterman | Alle anderen Fotos mit freundlicher Genehmigung der Künstler

Die Welt der elektronischen Musik befindet sich in ständiger Bewegung. 2015 war aber ein besonders turbulentes Jahr. Während Klänge aus House und Techno immer weiter den Mainstream-Pop und die wichtigsten Spots der Festival-Line-Ups infiltrierten, haben Underground-Künstler dem Genre herausfordernde und spannende neue Facetten verliehen. Scharfe, synthetische Produktion wurden mit kraftvollen Statements zur Datenschutz, Überwachung und Rüstungsindustrie kombiniert. Diese elastischen, sich jeder Kategorisierung entziehenden Produktionen von Künstlern wie Arca, Holly Herndon und Lotic sind vielleicht nicht für jeden was, aber es lässt sich nicht bestreiten, dass sie und andere Dance- und Electro-Musik aufregender denn je gemacht haben.

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Zwischen all diesen musikalischen Umbrüchen muss man sich fragen, wo House und Techno—die historischen Grundpfeiler der Dance-Musik—in dieser Landschaft einzuordnen sind. Einerseits dominieren sie Dancefloors auf der ganzen Welt und beeinflussen weiterhin jeden von Underground-Künstlern bis zu Mainstream-Schwergewichten wie Calvin Harris, Adam Lambert und Kanye West, andererseits könnte man angesichts dieser ganzen Innovationen aus anderen Ecken der elektronischen Musik sicher auch argumentieren, dass House und Techno als Genres stagnieren.

„Das Mittelfeld von Clubmusik—nicht wirklich Mainstream, aber auch nicht wirklich Underground—ist momentan dem Indierock recht ähnlich: eine sich selbsterhaltende Community mit relativ starrer Ästhetik und sozialen Normen", schrieb Musikkritiker Philip Sherburne letztes Jahr in seinem Essay The Year in Electronic Music für Pitchfork. Sicher, es gibt immer noch eine Menge guter Sachen, aber Sherburnes Argument, dass „House-Musik mit der letzten Welle des Mainstreamings reingewaschen und entzerrt wurde", muss sicherlich bedacht werden—besonders wenn man die kühne Ambition des Undergrounds in Betracht zieht, die kulturellen Gemeinschaften und sozialpolitischen Interessen zu repräsentieren, die überhaupt erst zur Entstehung von House und Techno geführt haben.

Wir haben uns also mit einer Reihe von Leuten aus der Dance-Community in Verbindung gesetzt, um uns über den Stand von House und Techno im Jahr 2016 zu informieren: Wo befinden sich die Genres gerade? In welche Richtung entwickeln sie sich? Und in machen Fällen: Können sie noch gerettet werden oder sind sie verloren? Die Antworten, die wir erhalten haben—von so unterschiedlichen Leuten wie Techno-Legende Kevin Saunderson, dem Chef von FIT SOUND Aaron Siegel und der Musikjournalistin Ruth Saxelby—, haben eine Menge Themen angeschnitten, darunter auch Identitätspolitik, den potenziellen Tod des DJings als Kunstform, die Zukunft des Musikgeschäfts und ob es überhaupt notwendig ist, in Genrebegriffen über Musik zu reden.

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Noisey: Die neue Producer-Generation ist die Gegenwart der Zukunft

Waajeed/Jeedo, Produzent / Gründer von Bling47

Ich mache mir große Sorgen um House und Techno. In gleicher Weise hat sich meine Angst um HipHop in den letzten paar Jahren bereits bestätigt. Bei den meisten neuen House- und Techno-Sachen schlafen mir die Füße ein. Die Genres haben an Popularität gewonnen und das auf Kosten der Gemeinschaft, die sie aufgebaut hat: schwarze, urbane Menschen. Es gibt einfach nicht genug schwarze Leute in dominanten Positionen, obwohl sie dieses Zeug erfunden haben. Warum?

Ich bin immer wieder enttäuscht von neuen Veröffentlichungen, denen es an Schärfe, Originalität und einem eindeutigen Standpunkt mangelt. Vielleicht ist das die Begleiterscheinung davon, dass diese Musik aus dem Ghetto in angesagte Londoner Bars gewandert ist, in die du ohne coolen Haarschnitt nicht reinkommst. Ich werfe beiden Genres vor, dass sie den Geist, in dem sie entstanden sind, verloren haben: Es ging eigentlich darum, die Verhältnisse aufzumischen! Diese Kunstformen wurden erschaffen, um das Establishment aufzurütteln und in eine neue Zukunft aufzubrechen.

Kannst du dir vorstellen, wie es in den 80ern als Teenager im Süden Chicagos oder im Osten Detroits war? Eine 808er-Drummachine und zwei Turntables waren vielleicht die einzige Plattform, um der Welt zu zeigen, dass du von Bedeutung bist. Diese DJs waren Schamanen, die zum Krieg aufriefen—einem Krieg für die Liebe. Die Zukunft musste besser werden als die Gegenwart, in der du unter schlechten Bedingungen leben musstest. Dadurch wurde ein Pfad geschaffen—einer, der jetzt von irgendwelchen Trendjüngern mit Dreck besudelt wird.

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DJ Shiva, DJ / Produzentin

Ich persönlich denke, dass es Techno im Jahr 2016 so gut geht wie eh und je. In der Musik selbst herrscht so viel Vielfalt vor. Das bedeutet zwar, dass du dich durch eine Menge unterschiedliches Zeug wühlen musst, aber wenn du es nicht genießt, nach Musik zu suchen, dann solltest du wahrscheinlich auch kein DJ sein. Man musste immer schon etwas Arbeit investieren, um die wahren Perlen zu finden—und das ist auch heute so—, aber es gibt sie und unsere Zugangsmöglichkeiten waren nie besser. (Danke, Internet!) Das ist durchaus in Ordnung für mich.

Womit wir direkt bei einem wichtigen Punkt wären: Zugang. Mir liegt der Zugang von Leuten, die ihn zuvor vielleicht nicht hatten, persönlich besonders am Herzen und das ist etwas, was die ganzen Puristen heute frustriert. Der Preis für Vinyl, der Preis für Musik-Equipment—das waren Dinge, die früher Menschen ausgeschlossen haben und die jetzt verschwinden. Für manche ist das frustrierend, weil sie das Gefühl haben, dass ihre Kontrolle verschwindet. Ich sage dazu: gut!

Die sterile Musikindustrie-Version des reichen, (hauptsächlich) weißen Typens, der in vollausgestatteten Studios Musik macht und mit seinen teuren Plattenkisten um die Welt fliegt, kann sich ruhig verpissen. Im Moment entstehen Kollektive von Frauen, queeren und transsexuellen Menschen, nicht-weißen und nicht-westlichen Menschen oder einer Kombination aus all dem, die ihre eigenen Communitys und Netzwerke neben (oder vollständig unabhängig von) der „Mainstream"-Musikindustrie aufbauen. Ausgegrenzte Menschen, die ihre eigenen Gemeinschaften durch Musik aufgebaut haben, ist doch genau das, womit alles angefangen hat.

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Die geringeren Einstiegskosten für die Musikproduktion, die Möglichkeit, ein Musiklabel ohne riesigen Kostenaufwand zu betreiben, die Preise für Musik und DJ-Equipment … das sind die Gründe, warum Puristen sich darüber beschweren, dass inzwischen „jeder" Musik machen oder Auflegen kann—aber genau das ist der Punkt. „Jeder" bedeutet „die Menschen, die vorher keinen Zugang dazu hatten" und wir sind sicherlich offen dafür, neue Stimmen von neuen Orten zu hören, von neuen Leuten, von denen wir sie vorher nicht gehört haben. Denn wenn wir das nicht tun—und Dinge wie teure Schallplatten oder die einschüchternde Notwendigkeit von Expertise oder musikalischer Virtuosität Leute ausschließen sollen—, dann sollten wir uns alle wirklich ansehen, was wir denken, was diese Musik überhaupt bedeutet. Wenn es nur der Soundtrack für Wohlhabende, weiße im Westen ist, um am Wochenende dem Hedonismus zu frönen, dann ist es wirklich nur eine weitere Form der Popmusik. Ich finde, Techno kann mehr.

Steve Mizek, Produzent / DJ / Gründer von Argot und Tasteful Nudes

Auch wenn das bestimmt auch für andere Genres gilt, so scheint Dance-Musik besonders anfällig für zyklische Trends zu sein. Am offensichtlichsten zeigen sich diese regelmäßigen Veränderungen darin, dass mal House und mal Techno beliebter ist. Nachdem das Pendel in den letzten fünf oder sechs Jahren mehr in Richtung House schwang—wodurch House auch außerhalb des Undergrounds beliebt wurde—, schwingt es im Underground wieder Richtung Techno.

Im letzten Jahr haben sich viele Producer aggressiveren Klängen und schnelleren Geschwindigkeiten zugewandt, wo sie zuvor noch Rhodes-Sounds zu gemächlicheren Tempi gespielt haben. Mehr DJs, die für ihre House-Sets gelobt wurden, haben sich befreit und ihre Techno-Sammlung erweitert. Vielleicht ist das eine Reaktion darauf, dass der House auf EDM-Ebene seinen Scheitelpunkt erreicht hat. Vielleicht ist es ein zeitgenössischer Widerhall der 90er, als House zum ersten Mal mit Pop übersättigt war und Techno aus Detroit und Schweden seinen Aufstieg feierte. Beides scheint möglich, wenn man die Ehrfurcht des Undergrounds vor der musikalischen Vergangenheit und die Ablehnung des kommerziellen Erfolgs bedenkt.

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Benjamin Myers, Benoit & Sergio

Die Welt der Dance-Musik ist, wie die Welt im Allgemeinen, unglaublich vielfältig, vielgestaltig und speziell. Mit generellen Behauptungen riskiert man also, diesen Pluralismus und die Unterschiede zu schädigen. Abgesehen davon scheint es so, dass Techno seit Kurzem bei dem immerwährenden Rennen darum, was das Publikum von einem DJ hören will, die Nase vor House hat. Die fetischistischen, anspruchsvollen Wiederholungen von Produktionstechniken und Kniffen scheint den Leuten im Moment ungemein wichtig zu sein—wie Gitarrensoli in den 80ern. Das soll nicht heißen, dass House nicht gut produziert ist oder dass Techno sich nicht schon immer mit der Materialität und Form von Klang auseinandergesetzt hat. Ich habe aber einfach das Gefühl, dass die Leute momentan Techno hören wollen.

Die Welt ist extrem vielschichtig (und im Augenblick auch wohlhabend genug) und es gibt genug Platz für Nischenmärkte, Fetischobjekte/-genres, geheime Zusammenkünfte von Liebenden aller Form, groß und klein, dick und dünn. Daher lässt sich sagen, dass Dance-Musik, egal aus welchem Genre, eindeutig gedeiht. Sie hat eine Vormachtstellung. Radiomusik klingt wie Dance-Musik—sie hat die Beats, die Tricks, die Crescendos, den Vibe vereinnahmt. Selbst Rap, die aktuell dominante kulturelle Form, bekommt seine Ideen heute von der Dance-Musik—natürlich.

Ishmael, Producer

Die House- und Technoszene des Underground ist in den letzten Jahren zweifelsohne explodiert, aber das halte ich nicht per se für eine schlechte Sache. Die unbekannteren Ableger des Sounds finden ihr Publikum und sind im Umkehrschluss in der Lage, finanziell zu überleben. Ich denke, das kann für den Fortschritt von Underground-Dance-Musik als Ganzes nur förderlich sein. Die weit gefassten Parameter von House und Techno sind verführerisch und befreiend für DJs, Produzenten und Hörer zugleich. Es gibt wenige Beschränkungen hinsichtlich Tempo, Groove oder Stimmung. Das bedeutet, dass mein Ansatz an einen bestimmten Sound wahrscheinlich anders ist als der eines Kollegen. Diese Freiheit erlaubt es Leuten, die Szene in jede Richtung, die sie wollen, auszuweiten und ich würde sagen, dass das auch der Punkt ist, an dem der Zauber geschieht.

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Was den Einzug von Dance-Musik in den Mainstream angeht, so ist das in meinen Augen nichts wirklich Neues: Es gab auch Jungle, Garage und Acid House bei Top Of The Pops kurz nachdem diese entstanden waren. Niemand ist überrascht, Disclosure an der Spitze der Charts zu sehen oder Rihanna knietief im Schlamm bei so einer Freetekno-Veranstaltung irgendwo in England. So lange es Leute gibt, die bereit sind, an der glänzenden Oberfläche zu kratzen, wird es immer ein Publikum für neue Underground-Musik geben.

Max McFerren, DJ / Produzent

Nach den L.I.E.S.-Leuten bekommt hier in New York ein neuer Schwung an Talenten gerade ein wenig Aufmerksamkeit. Sie organisieren in kleinen Gruppen Sachen im Umfeld des Bossa Nova Civic Club. Wir treffen uns alle davor, lernen uns gegenseitig kennen und bauen Vertrauen zueinander auf—aber es muss noch mehr Austausch abseits der Clubs und Studios im echten Leben geben. Die Szene hat mehr zu bieten, als nur Partys. Dort kann echte Gemeindearbeit gemacht werden, und es würde helfen, einen Treffpunkt zu haben, an dem Ideen über Nachhaltigkeit, Ressourcen, Gleichheit/Integration, Intentionen und Motivation eine größere Rolle spielen. Jetzt, wo mehr lokale DJs/Produzenten Aufmerksamkeit von den Medien bekommen, wird es interessant sein, die Motivation und Intentionen der Protagonisten zu beobachten und wie sie auf das Geld reagieren.

Mehr und mehr Leute veröffentlichen ihre Sachen in Eigenregie, was meiner Meinung nach eine essentielle Form der Weiterbildung ist, um diese Community gesund und finanziell rentabel zu halten. Ich will, dass mehr Leute die Idee von Wachstum in Betracht ziehen—und davon, deine Musik mit verschiedenen Hörerkreisen zu teilen, inklusive größeren Clubs und Medienplattformen. Ich sehe immer noch Leute, die versuchen, sich selbst zu isolieren und ich kann es ihnen nicht übelnehmen (Die Musikindustrie ist scheiße!), aber wir können alle mehr erreichen, wenn wir lernen, wie wir unsere eigene Arbeit an ein größeres Publikum und größere Clubs anpassen. Ich denke, es gibt definitiv einen großen Pool an Talenten und wenn ein lokales Distro vernünftige P&D-Deals vergeben würde, dann würde die Szene explodieren.

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Musikalisch gesehen bin ich wirklich froh, eine spielerische, abgefahrenere und funkigere Strömung von Track zu sehen, die aus der Grauzone zwischen rohem House und Techno entsteht. Ich denke, es gibt definitiv eine große Schwemme von extrem jungen Produzenten, die Livesets mit Hardware spielen, die sehr dem aktuellen Bewusstsein entsprechen. Gleichzeitig sehe ich nicht wirklich viele junge DJs. Vielleicht ist das Auflegen heute eine weniger reizvolle Form des Ausdrucks, da es nerdiger ist, viel Zeit benötigt, sehr starr ist und viel Geduld verlangt. Vielleicht sind House und Techno nicht cool. Vielleicht ist DJing etwas, das mit dem Alter kommt—ich habe es nicht verstanden, bis ich 25 war. Vielleicht brauchen die Leute einfach Zugang zu Equipment und jemanden, der ihnen sagen kann, wie sie es benutzen. Ich würde gerne mehr junge Talente sehen, die die Decks zum Brennen bringen und ich würde gerne jemandem zeigen, was ich schon weiß.

Brian Tappert, ehemaliges Mitglied von Jazz-N-Groove und Gründer von Traxsource

Musikalisch gesehen läuft es gerade besser, als für eine längere Zeit davor. Du kannst wirklich hören und fühlen, dass Leute in die Tiefe gehen und aus den richtigen Gründen Musik machen. House fühlt sich frischer an als je zuvor und darüber könnten wir nicht glücklicher sein.

Was das Geschäft angeht, kann ich nicht so optimistisch sein. Meiner Meinung nach ist die Schuld bei den neuen Streaming-Modellen zu suchen, die von gigantischen Firmen mit ganz anderen Absichten betrieben werden. Diese Leute haben Musik zu einem Lockartikel gemacht, um etwas Anderes zu erreichen—wie Hardware zu verkaufen, dir eine Premiummitgliedschaft anzudrehen oder Schlimmeres.

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Als Branche haben wir konsequent die falsche Richtung gewählt, wenn es darauf ankam, und meiner Meinung nach befinden wir uns momentan in einer kritischen Phase. Streaming, wie es heute existiert, ist defekt. (Wenn du denkst, dass ich falsch liege—was ich gerne würde—,dann zeig mir bitte nur eine Firma, die nicht beim Versuch ein Streaminggeschäft mit Künstlerabgaben aufzubauen Millionen verloren hat).

Diesen Umstand wieder in Ordnung zu bringen, ist so einfach und trotzdem beinahe unmöglich, da immer ein Modell erwartet wird, das vollkommen umsonst ist. Das Musikgeschäft muss von Film und Fernsehen lernen, um die Gewinne zu maximieren. Du findest die neusten Filme, die gerade im Kino laufen, nicht irgendwo umsonst oder bei Netflix und wir müssen denselben Ansatz, der hier verwendet wird, lernen und anwenden. Dann hat unser geliebtes Musikgeschäft eine wirklich Chance, wieder zu florieren.

ANNA, Produzentin / DJ

House und Techno sind die Genres, die alle anderen Arten elektronischer Musik für den Dancefloor nähren, und werden wahrscheinlich nie verschwinden. Die große Zahl an Techno-DJs mit hohen Gagen ist wahrscheinlich ein perfektes Beispiel dafür. Es ist mir sehr wichtig, dass diese Stile weiter erfolgreich sind, andernfalls würde in der Szene etwas sehr falsch laufen. Sie dienen nicht nur als Quelle der Inspiration für die Entwicklung neuer Subgenres, sondern auch als Anker, als Ausgangspunkt, eine Referenz für die zukünftigen Generationen von Künstlern—und auch für die Öffentlichkeit.

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Ich interessiere mich für alles zwischen House und Techno, aber ich hänge nicht besonders an einem bestimmten Subgenre oder einer Bewegung, das würde mich zu sehr einschränken. Natürlich ist Techno mein größter Einfluss und ich bin mir ziemlich sicher, dass er das immer sein wird. Eine Sache, die ich für wichtig halte, ist, dass die Künstler die Ursprünge von Techno und House kennen, sprich: die Pioniere und ihren Sound. Sonst laufen wir rum und nennen alles „Techno" oder „House". Ich versuche natürlich, innovativ zu sein und neue Elemente dieser Genres in meine Musik einzubinden, aber das Fundament ist immer da.

Claude VonStroke, Produzent / DJ / Gründer von Dirtybird Recordings

House und Techno scheinen gerade stärker zu sein denn je. Wenn es ein starkes Interesse an etwas gibt, dann nimmt auch die Konkurrenz zu, was manchmal auch eine höhere Qualität der Musik bedeutet. Aber im Moment habe ich das Gefühl, dass die Menge an Möglichkeiten endlos ist, wohingegen die Menge guter Musik nicht im gleichen Verhältnis zunimmt. Ich denke nicht, dass irgendwas, was ich sagen könnte, die Entwicklung musikalischer Trends beeinflussen könnte, also mache ich einfach mein eigenes Ding und hoffe auf das Beste.

Aaron "FIT" Siegel, Produzent / DJ / Distributor / Gründer von FIT SOUND

Ich war nie einer von denen, die irgendwelche Trends vorhergesehen haben. Meistens weiß ich noch nicht mal, was allgemein gerade abgeht. Es ist schwer, diesen einen Schritt zurückzutreten, wenn man gerade mittendrin ist. Als Produzent, DJ, Labelbetreiber und Besitzer eines Vertriebs stecke ich wirklich tief mittendrin und bin in erster Linie damit beschäftigt, originelle, ausgefallene und funkige Musik in die Welt zu tragen. Wie das am Ende in den größeren Kontext passt, müssen andere entscheiden.

Wenn man mich also fragt: „Wie steht es 2016 um den Underground?", kann ich keine wirkliche Antwort geben. Ich würde mal behaupten, dass es nicht wirklich anders aussieht als 2015. Ich finde es sowieso lächerlich, Jahre als Maßstäbe für solche Dinge zu nehmen. Die meisten Menschen warten ewig darauf, ein Album fertigzustellen, und dementsprechend entspricht „ein Jahr" in der Musik etwa dem, was in vier bis sechs Monaten entstanden ist. Der Rest des Jahres wurde damit verbracht, das Teil zu veröffentlichen, während man weiter an anderer Musik arbeitet, die wahrscheinlich ein Jahr später rauskommen wird.

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Als Plattenkäufer fühlen sich die meisten Jahre recht ähnlich an, da sich meine Kaufgewohnheiten von meinem Geschmack und meinen Interessen leiten lassen, die sich ja auch ständig weiterentwickeln. Ich kaufe neue und alte Platten, Originalkopien und Reissues, 12"s, 7"s und LPs vieler verschiedener Genres. In jedem Genre gibt es gute und beschissene Platten, jedes Jahr. Ich gehe mal nicht davon aus, dass sich das ändern wird.

Ich hoffe vor allem, mehr Produzenten/DJs/Veranstalter zu sehen, die sich selbst herausfordern, ihr Publikum herausfordern und dafür sorgen, dass die Dinge ausgefallen bleiben. Das ist die einzige Möglichkeit, um unseren „Underground" weiter bewohnbar zu machen.

MK, Produzent / DJ

Der aktuelle Zustand von House und Techno ist sehr gut. Es scheint immer mehr Festivals zu geben, die in Richtung House und Techno gehen, als noch vor Jahren—vor allem in den USA—und das ist wirklich großartig. Es ist toll zu beobachten, dass die Amerikaner langsam mehr mit House und Techno anzufangen wissen.

Nachdem ich so viel Zeit in Europa verbracht habe und jetzt fast vier Monate wieder zuhause bin, würde ich sagen, dass wir uns langsam in der Abkehr vom EDM befinden. Mit EDM meine ich die ganzen Konfettikanonen, das Feuerwerk und die mittelmäßige Musik, die zur Untermalung dieser Spezialeffekte abgespielt wird. Ich gehe davon aus, dass House in den USA einen großen Einfluss auf die Musik und Live-Shows der nächsten Jahre ausüben wird. Da ich House liebe, macht mich dieser Wechsel glücklich. Es gibt immer Raum für Verbesserungen, aber jetzt, wo das Internet das Spielfeld für alle mehr geebnet hat, würde ich sagen, dass man leichter die guten Dinge von den weniger guten trennen kann. Es gibt immer Raum für Verbesserungen in der Musik, in Live-Shows, in einfach Allem.

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Jetzt haben wir Social Media, um unsere Gefühle darüber auszudrücken, was behoben, geändert oder verbessert werden muss. Abgesehen davon ist auch Geld immer ein großartiges Mittel gewesen, um deine Meinung auszudrücken. Wenn ein Festival sein Publikum nicht mit Respekt behandelt, dann dürfen die Leute da nicht mehr hingehen. Wenn es nicht genug Wasser, Essen oder Waschmöglichkeiten gibt oder die Produktion und der Sound nicht gut sind, dann stimmst du mit deinem Geld ab und kaufst dir keine Tickets mehr für die Veranstaltung. Diese Message kommt bei den Veranstaltern schnell an. Oder, wie im Fall von Coachella, wo es alles von einem abwechslungsreichen Musikprogramm, Kunstinstallationen, veganem Essen, einer unglaublichen Produktion bis hin zu einer aufmerksamen und respektvollen Behandlung der Besucher gibt, wächst die Unterstützung der Fans, woraus sich dann die größten und erfolgreichsten Festivals der Welt entwickeln.

Kevin Saunderson, DJ / Produzent / Gründer von KMS

Von Detroit aus gesehen, wo ich mich befinde, kommt endlich alles zusammen. Der Techno-Sound erfährt wieder einen Durchbruch und das zeitgemäßer und frischer als jemals zuvor. Ich glaube, 2016 werden wir bloß die Anfänge von der großen Rückkehr des Techno erleben. In Europa sehe ich das bereits, hier in den USA kann ich es spüren.

Die Kultur bewegt sich in eine gute Richtung, in der Menschen die Essenz und die Reinheit der Musik erkennen und sich selbst auf der Tanzfläche auszudrücken wissen—und das ist immer etwas Gutes. Es gibt immer bestimmte Aspekte, die verbesserungswürdig sind—so ist das Leben nun mal. Ich weiß nicht, ob die Szene selbst alles reparieren kann, was falsch läuft, aber jeder kann bei sich selbst anfangen—wir alle müssen unser spirituelles Gleichgewicht und unsere Menschlichkeit finden, damit wir gegenseitig gut und freundlich zueinander sein können. Sobald wir beginnen, das verbessern zu wollen, wird sich auch alles andere ins richtige Lot rücken. Es gibt keinen besseren Ort, um seine innere Mitte zu finden, als den Rhythmus zu spüren und sich dazu auf der Tanzfläche zu bewegen. Wenn du dich von der Musik mitreißen lässt, dann ist das eine unglaublich ursprüngliche Erfahrung. Sie beginnt und endet mit Liebe.

Ruth Saxelby, leitende Redakteurin The FADER

Als ich in den späten 90ern und frühen 00ern im Norden Englands eine jungen und enthusiastische Clubberin war, waren Chicago House und Detroit Techno für mich ebenso Legenden wie Dance-Musik-Genres. Ich hatte beide Städte noch nie besucht, war aber von beiden aufgrund ihres schier endlosen Stroms an Talenten beeindruckt: Chicago war die Heimat von Joe Smooth, Frankie Knuckles und DJ Sneak, während Detroit Derrick May, Underground Resistance und Carl Craig hervorgebracht hatte. Ich hatte kein Internet in meiner Studentenbude in Leeds—ich benutzte Word, um meine Essays mit einem großen Stapeln Büchern daneben zu schrieben—ich kannte also diese Künstle und ihre Mitstreiter, weil sie rüber flogen, um in den Clubs zu spielen, die ich besuchte; indem ich die DJs nach den Tracks fragte oder indem ich Magazine las oder Radiosendungen hörte, die sich mit Dance-Musik auseinandersetzten. In Leeds, wo es eine ausgeprägte Arbeiterklasse aber auch viele Studenten gab, lebte jeder für das Wochenende. House und Techno waren das, auf das wir alle hungrig waren: Ein Soundtrack, zu dem wir unsere Sorgen ausschwitzen konnten.

Heutzutage wird die meiste Musik, die Anerkennung und Gewinne einstreicht, in London, Los Angeles, Berlin und New York gemacht—und das überwiegend von weißen Produzenten. Es ist kein Zufall, dass diese Städte auch Medienzentren und Touristenziele sind. Vieles aus der Dance-Musik, das Schlagzeilen macht, stammt von House und Techno ab, nimmt ihnen jedoch den ursprünglichen Kontext: House als sicherer Ort für eine junge, schwule, schwarze Community, um selbst eine offenere Welt zu erschaffen; Techno als eine Erfindung der schwarzen Arbeiterklassenjugend als Mittel, um Vorstellungen über die Zukunft zu dekonstruieren und Kontrolle über die Gegenwart auszuüben.

Was einst die Musik der Ausgegrenzten war, wurde zur Musik des Mainstreams. Die Technologie hatte ihren Anteil daran: Synthesizer, Sampler und Software verfügen oft über voreingestellte Beats für eine einfache Nachahmung, ohne dass man dafür jemals einen Fuß in einen Club gesetzt haben muss. Manchmal bedeutet, den Zustand von House und Techno zu beklagen, aber auch, das Potenzial dieser Musik in andere Richtungen zu übersehen. Du kannst Spuren davon in einer unglaublichen Vielzahl von regionalen Dance-Spielarten finden, inklusive Baltimore und Jersey Club, Footwork, Trance und UK Garage, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. In diesen wunderschönen Mutationen sollte das Erbe von House und Techno auch beobachtet werden.

Musik ist Dialog: Der einzige Weg, um bedeutungsvoll an der Unterhaltung teilzunehmen, ist, sich der Geschichte bewusst zu sein und sie zu respektieren. Trotzdem erweist Purismus den Communitys, die House und Techno erschaffen haben, einen Bärendienst. Statt Türen zu schließen, haben die aufregendsten Vertreter dieser Genres immer die Hand ausgestreckt. Wenn ich Dinge wie Discwomans Boiler Room Takeover mit UNiiQU3, Juliana Huxtable, BEARCAT und SHYBOI sehe, dann kann ich unter anderem den Geist der subversiven Nachkommen von House und Techno hören. Die Clubmusik von heute entwickelt sich auf stolze und notwendige Weise weiter—sie erstreckt sich über Grenzen hinweg, umschließt gleichgesinnte musikalische Sprachen und wird von neuen Rhythmen und Geschwindigkeiten angezogen.

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