Jenny Hval
Sacred BonesEtwa bei der Hälfte von Blood Bitch fragt ein Freund der norwegischen Schriftstellerin und Sängerin Jenny Hval, worum es in ihrem neuen Album geht. "Es geht um Vampire", antwortet Hval mit einem Kichern. "Es geht um Blut!" In einer Mischung aus Ambient Noise, Spoken Word und Avant Electropop beleuchtet ihr viertes Album Menstruation, Vampirismus und Weiblichkeit.
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Ihre Bereitschaft, Risiken einzugehen, ist zunächst verblüffend und begeistert bei mehrfachem Hören. Sie rappt sogar kurz: "I've never really loved a dog / Last night I took my birth control with rosé / … keep that birth under control." In ihren abstrakteren Songs wie "The Plague" greift sie nach einer Schönheit, die durch traditionelle westliche Musikformen nur schwer eingefangen wird, jene unordentliche Schönheit, die wir alle teilen: Poren und Föten, Spucke und Sperma und Schamhaare.Dennoch sind die berührendsten Momente die poppigeren Tracks, die aus der unheimlichen Welt von Hval ausgegraben wurden. Während des gesamten Albums nutzt sie fachmännisch lautmalerische und lyrische Unordnung als Allegorie für das Durcheinander ihrer eigenen Emotionen.Die Bridge von "Conceptual Romance" beweist diesen Punkt: "I don't know who I am, but I'm working on it / I'm high, high on madness / These are my combined failures / I understand infatuation, rejection / They can connect and become everything, everything that's torn up in your life."Diese zehn Tracks sind anders als alles, was du dieses Jahr hören wirst—eine Art riesiges und überwältigendes Menstruationsmusical. Aber das hier ist keine Musik, die perfekt sein soll. Es ist ein unbequemer, persönlicher Einblick in die Gedanken von Hval, ein Raum, der von den vorhersagbaren Banalitäten des Alltags vollständig abgetrennt ist. Diese Offenheit stellt eine sehr breite Zielscheibe für diejenigen dar, die keine Geduld haben für das, was man "fordernde Musik" nennen könnte, auch wenn sie so anmutig und eindringlich klingt wie in diesem Fall."Fürchtet euch nicht, es ist nur Blut."
Anzeige
Leonard Cohen
Sony MusicEs sind gute Zeiten für die alten Troubadore. Bob Dylan hat gerade den Literaturnobelpreis bekommen, Cohen kürzlich 60.000 Zeichen im New Yorker. Als heilige Kühe des Musikbetriebes scheinen die beiden einfach schon immer da gewesen zu sein, und selbst 2016, das sich bisher als unbarmherziger Alte-Helden-Töter aufgespielt hat, konnte ihnen bisher nichts anhaben. Beten wir.Jedenfalls haben im Fall von Leonard Cohen Publikum und Kritiker schon lange klein beigeben und finden ihn kollektiv super, einfach, weil er schon so verdammt lange da ist. Das ist wie mit Bergen. Setzt irgendwo einen Berg hin, und irgendjemand wird beginnen, ihn anzubeten. (Obwohl Cohen in persona winzig klein ist und mehr Taktgefühl hat als ein Berg.) You Want It Darker wird daran nichts ändern. Schon der Opener (und die erste Single), nach der auch das Album benannt ist, ist ein Stück finster-kitschiger Vollkommenheit.
Anzeige
"Inner-directed adolescents, lovers in all degrees of anguish, disappointed Platonists, pornography-peepers, hair-handed monks and Popists", so beschrieb Cohen vor Jahrzehnten, damals noch Dichter, sein Zielpublikum—ein Publikum, das mit ihm über die Jahre gewachsen ist, von dem die Hälfte inzwischen schon wieder tot und die andere Hälfte gerade erst ins hörfähige Alter gekommen ist.Das Lustige daran ist, dass es—ähnlich wie bei Lee Hazlewood—gar nicht so einfach ist, seine Musik über ihre offensichtlichen Qualitäten hinaus ernst zunehmen. Nicht im Sinne eines abschätzigen Urteils, sondern buchstäblich: Die meisten Cohen-Songs haben in aller Schönheit etwas Komisches, aus der Zeit Gefallenes. Etwas, woran die vielen Versuche zeitgenössischer Musiker, denselben Flair zu erschaffen, wieder und wieder scheitern.Also genießen wir Cohen lieber, solange wir noch können, dimmen das Licht und lauschen. Oder, wie Cohen sagen würde: "You want it darker? We kill the flame."-JULIANE LIEBERT"You want it darker? We kill the flame."
LET THEM EAT CHAOS
Kate Tempest
Caroline / Fiction
Anzeige
DESIRE WILL SET YOU FREE OST
Anzeige
YES LAWD!
NxWorries
Stones Throw Records
Anzeige
ICH GEHÖR NUR MIR ALLEIN
Isolation Berlin & Der Ringer
Staatsakt/Caroline InternationalWie ein altes chinesisches Sprichwort (angeblich, bei chinesischen Sprichwörtern weiß man nie so genau, ob sie nicht in Wirklichkeit etwas sind, was ein Onkel des Zitierers sich an der Theke ausgedacht und als chinesische Weisheit verkauft hat) sagt: Hass und Liebe sind Hörner am selben Stier. Auf der neuen EP von Der Ringer und Isolation Berlin ist mit "Ich bin so unendlich schön" ein solcher Stier: ein fantastisch hasserfülltes Liebeslied.Hasserfüllte Liebeslieder haben eine lange Tradition, von Marlene Dietrichs "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre" bis zu den Magnetic Fields mit "Oh yeah" und so fort. Man kann, auch wenn Isolation Berlin nicht die Erleuchtung sind, als die sie derzeit präsentiert werden, nicht umhin, diesem mit kindlicher Schadenfreude vorgetragenen Antihit mit seiner tapsigen Melodie zu lieben, oder zu hassen, oder eben beides.Der Rest der EP stinkt dagegen ein bisschen ab, weder "Wolke/Rekall" noch "Ein Traum" erreichen die Qualität der Single. Dafür macht M10, die B-Seite, durchaus was her, wenn man auf Ambient steht. Falls sich Isolation Berlin und Der Ringer nächstes Mal entscheiden können, was sie eigentlich wollen, könnte das durchaus noch was werden mit den beiden.-JULIANE LIEBERT