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Sind Formel-1-Flitzer nur Verrückte?

Wenn Flitzer aufs Fußball-Feld sprinten, dann erleiden sie höchstens Schürfwunden durch die Ordner. Formel-1-Flitzer hingegen bringen sich und die Fahrer in Lebensgefahr. Doch nicht alle sind ausschließlich lebensmüde.
Photo by PA Images

Am 20. September kam es in der 38. Runde beim Großen Preis von Singapur zu einem echten Schreckmoment, als sich ein Zuschauer durch die Sicherheitsabsperrungen durchmogelte und direkt neben der Rennstrecke entlang spazierte. Der Eindringling löste sogar eine Safety-Car-Phase aus, bei der das ganze Feld einem Mercedes-Sportwagen hinterherfahren musste (nein, diesmal ist nicht die Rede von Hamilton).

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Angesichts einer solch hirnrissigen Aktion stellt sich einem eigentlich nur eine Frage: warum?

Und dann vielleicht noch eine zweite: Kann man Personen dieser Art mit Fußball-Flitzern gleichsetzen? Wahrscheinlich nicht. Denn Menschen, die sich entkleiden, um dann vor tausenden schreienden Leuten übers Spielfeld zu flitzen, riskieren höchstens, von übermotivierten Sicherheitsbeamten hart zu Boden geschubst zu werden. Mehr als ein paar Schürfwunden drohen meistens nicht.

Ganz im Gegenteil zu Spinnern wie dem aus Singapur, die sein eigenes Leben und das der Fahrer sinn- und rücksichtslos aufs Spiel gesetzt hat. Und das Schlimme daran: Er war nicht der erste Zuschauer, der auf diese glorreiche Idee gekommen ist. Darum haben wir ein deprimierendes Best-of von Formel-1-Flitzern zusammengestellt, samt ihren Beweggründen für die an sich unerklärlichen Aktionen.

Der Protest-Flitzer

In Runde 25 beim Großen Preis von Hockenheim 2000 tauchte der 47-jährige Franzose Robert Sehli plötzlich auf der Rennstrecke auf, nachdem er die Sicherheitsabsperrungen überwinden konnte. Eingehüllt in einem merkwürdigen Banner machte er darauf aufmerksam, dass er wenige Tage zuvor aus gesundheitlichen Gründen—und nach über 22 Jahren Betriebszugehörigkeit—von seinem Arbeitgeber Mercedes-Benz vor die Tür gesetzt worden war.

Später kam heraus, dass er seine Protestaktion schon beim Start versucht hatte, aber von Renn-Marshals aufgehalten werden konnte. Nicht der erste gescheiterte Versuch, denn schon beim Frankreich-Grand-Prix desselben Jahres wollte er die Strecke stürmen, wurde aber (ausgerechnet) von Fotografen zurückgehalten.

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Übrigens hatte Sehli am Ende (wegen oder trotz seiner Aktion, kann man sich wohl fragen) Erfolg. Zwar wurde er von den Streckenorganisatoren mit einer Geldstrafe in Höhe von 600 Pfund belegt, gewann aber einen Prozess gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber, an dessen Ende ihm 91.000 Francs zugesprochen wurden. Zuvor hatte sich Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug öffentlich auf die Seite von Sehli gestellt und dessen Entlassung als „skandalös" bezeichnet.

Der religiöse Flitzer

Der irische Priester Neil Horan war von allen Flitzern mit Abstand der dreisteste—und dümmste. Denn beim Silverstone-Rennen 2003 lief er nicht neben, sondern auf der Strecke umher und zwang dabei mehrere Boliden zu Ausweichmanövern. Mit einem Kilt geschmückt schwenkte er Banner, auf denen Botschaften wie „Lies die Bibel" and „Die Bibel hat immer recht" standen.

Für seine halsbrecherische Aktion wurde er zu einer zweimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Da halfen ihm auch nicht seine Beteuerungen, dass er die Öffnung im Sicherheitszaun als „Zeichen Gottes" auffasste.

Leider sollte es nicht die letzte dumme Aktion des Iren gewesen sein. Denn nur ein Jahr später—bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen—schubste er die führende Läuferin beim Marathon-Wettkampf, Vanderlei de Lima, ins Publikum, woraufhin sie 20 Sekunden ihres 48 Sekunden großen Vorsprungs einbüßte und am Ende nur Dritte wurde.

Beide Aktionen reichten aber augenscheinlich nicht dafür aus, damit der irre Ire beim Background-Check für einen Auftritt bei „Britain's Got Talent" 2009 durchfallen würde.

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Erst als man den Producern nach der ersten Sendung gesteckt hatte, was Horan schon auf dem Kerbholz hatte, wurde er stillschweigend aus dem Programm entfernt.

Der Serien-Flitzer

Während Horan und Sehli mit ihren Aktionen eine bestimmte Agenda verfolgt haben, ging es Jaume Marquet i Cot (besser bekannt als „Jimmy Jump") primär darum, sich selbst in den Vordergrund zu spielen. Im Gegensatz zu den zuvor Genannten muss man aber zu seiner Verteidigung sagen, dass er sich—und damit auch die Fahrer—nicht wirklich einer Gefahr ausgesetzt hat, weil die Autos zu der Zeit gerade am anderen Ende der Strecke unterwegs waren (wollen wir mal—in dubio pro reo—hoffen, dass er die Aktion vor deren Ankunft im Zielbereich von selbst beendet hätte).

Das war 2004 und damit vor mehr als zehn Jahren. Seitdem wurde Marquet i Cot zu einem Dauergast bei sportlichen Großveranstaltungen. Nachdem er mehrfach als Flitzer bei Spielen seiner Lieblingsmannschaft FC Barcelona aufgefallen war, entschied er sich anlässlich der EM 2004 für die internationale Bühne und bewarf den Portugiesen Luis Figo mit einer Barça-Flagge, weil der vier Jahre zuvor zum verhassten Rivalen aus Madrid gewechselt war.

Im Jahr 2010 erreichte er dann den Zenit seines Schaffens. Vor dem WM-Finale in Johannesburg stürmte er das Spielfeld, setzte sich einen Katalonien-Pudel auf und rannt in Richtung WM-Pokal, wurde aber wenige Zentimeter vor Erreichen des Heiligen Grals von Sicherheitsbeamten zu Boden geworfen.

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Der All-inclusive-Flitzer

Der Große Preis von Singapur war nicht das erste Rennen in dieser Saison, bei dem ein Flitzer auf die Rennstrecke gestürmt ist.

Beim Training zum Großen Preis von China kletterte ein Fan über eine drei Meter große Mauer, überquerte auf Höhe der Start-Ziel-Linie die Rennstrecke, überwand eine weitere Mauer und landete im Fahrerlager.

Dort angekommen hatte er nur ein Ziel: die Ferrari-Garage. Denn der gute Mann war der Meinung, dass ihn sein Ticket dazu berechtigen würde, selber mal in einen Boliden steigen zu dürfen. So richtig all-inclusive-mäßig. Ob er das ernst gemeint hat oder möglicherweise als ironische Geste aufgrund der hohen Eintrittspreise, ist nicht bekannt.