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• mad decent boat party

Ich war auf der unseligen Kreuzfahrt von Mad Decent, bei der eine Frau über Bord ging

Es war eins der schlimmsten Wochenenden überhaupt, aber es gab mir auch meinen Glauben an die Menschheit zurück.
All below photos courtesy of the author

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Es ist 22 Uhr am Donnerstagabend, dem 12. November, wir befinden uns etwa 20 Seemeilen vor der Küste von Kuba und die 2.400 Menschen auf der „Mad Decent Boat Party" streunen durch das Casino oder sitzen in ihren Kabinen—es gibt sonst nichts zu tun. Nach dem ersten Tag der als Dauerfeier angelegten Kreuzfahrt sind alle für das Wochenende geplanten Auftritte, darunter auch Headliner-Shows von Dillon Francis, Jack Ü, Flosstradamus und Mijan fürs erste auf Eis gelegt. Wenige Stunden zuvor, etwa gegen 18:30 Uhr, war Kaylyn Rose Sommer, 24, über Bord gegangen—und damit wahrscheinlich auch in ihren Tod.

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Die wenigen Fakten, die wir über Kaylyn wissen: Sie war eine junge Mutter und besuchte bereits zum zweiten Mal die Boat Party. Im Jahr zuvor hatten ihr Mann und sie sogar auf diesem Schiff geheiratet—getraut wurden sie laut Entertainment Weekly von einem Typen, den sie über die Facebook-Seite der Veranstaltung gefunden hatten.

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Als die Mann-über-Bord-Durchsage durch die Lautsprecher kam, saßen wir gerade für die „Animal Theme Night" verkleidet mit Keys 'N Krates beim Bingo und verstanden den Ernst der Lage nicht wirklich. Wir dachten alle, das Schiff würde einfach umdrehen, den Unglücksraben einsammeln und dann wieder Kurs auf Mexiko nehmen, wo die Hauptveranstaltung über die Bühne gehen sollte: ein voller Tag Mad Decent Party im Playa Mia Grand Beach & Water Park—alle Getränke umsonst. Wir spielten also gelassen unsere Runde Bingo fertig und machten uns dann über das Buffet her.

Alle 15 oder 30 Minuten wurden wir über die Lautsprecher auf den neusten Stand gebracht, aber wirkliche Neuigkeiten waren eigentlich nie dabei. Sixthman Jayne, die offizielle Sprecherin der Boat Party, drehte Runden im Restaurant und verbrachte einen Großteil des Abends damit, die Fragen der Gäste zu beantworten. Sie hatte zwar keine Neuigkeiten—die hatte niemand—aber allein ihre Gegenwart hatte etwas sehr Beruhigendes und sie sorgte für Verständnis bei den Passagieren.

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Gegen 1:30 Uhr am frühen Freitagmorgen machte Bobby, der Kreuzfahrtleiter, schließlich die letzte Durchsage für die Nacht. Nachdem seine Stimme über die letzten Stunden hinweg ständig gefasst und ruhig geblieben war, konnte man nun deutlich seine Verzweiflung hören. Der Gast sei nicht gefunden worden. Dieses Beben in seiner Stimme zu hören, war wie ein Blick durch das perfekt einstudierte Protokoll hindurch auf das wirkliche Ausmaß der Situation—die Leute auf der Kommandobrücke waren offensichtlich völlig machtlos.

Ich ging ins Bett und wachte zu der Ankündigung auf, dass das Schiff wenden und wir nach Miami zurückkehren würden. Sofort machte sich in mir die lähmende Angst breit, weitere 48 Stunden auf der traurigsten Rave-Kreuzfahrt aller Zeiten gefangen zu sein.

Aber das hier soll kein Artikel darüber sein, wie tragisch dieses Unglück war—mehr um die Reaktionen wie die gesamte Party-Zweckgemeinschaft es geschafft hat, mit der Situation umzugehen. Die Helden, die diesen wahrgewordenen Albtraum eines Party-Urlaubs retteten, waren die Leute von der Mad Fam höchstpersönlich—inklusive der Angestellten von Norwegian Cruises, Sixthman Productions und dem Label—die sich mitten in diesem Chaos als Fels in der Brandung präsentierten und es selbst in die Hand nahmen, diesen Schlag zu verarbeiten.

Ich ging an diesem Morgen dann auf das Pooldeck, um mir anzuschauen, wie sich die anderen Gäste machten. Das, was ich dort vorfand, war unglaublich rührend.

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Zuerst einmal war da dieser Typ, nur bekannt als Handlebar John:

Aus dem Becken heraus machte er so was wie eine Kombination aus Stand-Up Comedy, Impro-Theater und Gefühlstherapie. Er bot jedem sein Plastiktelefon an, der Freunde oder Verwandte „anrufen" wollte, um ihnen zu sagen, dass man OK ist. Er selbst machte den Anfang: „Ja, Oma, ich trage meine Schwimmflügel die ganze Zeit. Ja, meine Vergewaltigungspfeife habe ich auch bei mir." Trotz der Schwere der vorangegangenen Ereignisse war es einfach unmöglich, nicht zu lachen. Selbst ich nahm schließlich sein Angebot an und machte einen Spaßanruf bei der internationalen Feuerwehr. Ich versicherte den Feuerwehrmännern, dass sie sich keine Sorgen machen bräuchten. Auch wenn momentan Gerüchte die Runde machen: Niemand hat die Boat Party momentan „angezündet" (ihr versteht schon, Party ist der Burner = die Party geht ab, funktioniert auf Englisch etwas besser, egal). Das würde sich schon sehr bald ändern.

Kurz darauf ging die Musik wieder los und der erste Act des Tages, der 19-jährige DJ Swizzymack, wurde zum ersten Künstler der Musikgeschichte, bei dem es mehr als angemessen war, das Set mit „Don't Stop Believin'" von Journey zu eröffnen. Von da an ging es sofort zu RL Grime und What So Nots Partyhymne „Tell Me" über und ehe man sich versehen hatte, twerkte das ganze Deck, Mad-Decent-Poolspielzeug flog durch die Gegend und das Bier floss in Strömen. Irgendein Typ auf der Tanzfläche hatte es sogar geschafft an Pizzateig aus der Küche zu kommen und vollführte damit ein paar beeindruckende Moves auf der Tanzfläche.

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Major Lazer

Irgendwo da draußen, mitten auf dem Ozean, hatte unter den ganzen Leuten in den bekloppten Kostümen das Gefühl des PLUR endlich wieder überhand genommen—überall waren nur fröhlich strahlende Gesichter zu sehen. Selbst die abgedroschenen Ansagen der Künstler hinterließen einen bleibenden Eindruck bei uns. Major-Lazer-Tracks wie „Get Free" und „Peace is the Mission" erschienen uns in diesem Moment unglaublich relevant und bedeutungsvoll.

Dann hörte ich die Nachricht von den Anschlägen in Paris.

Hier in unserer schwimmenden Rave-Blase waren wir komplett von der Außenwelt isoliert und hätte ich nicht für einen kurzen Moment den Fernseher eingeschaltet, hätte ich wahrscheinlich erst an Land von den Ereignissen gehört. Sonst schien niemand über die Anschläge zu sprechen, also ging ich davon aus, dass die anderen entweder nichts davon mitbekommen hatten oder, wie ich, nicht noch mehr deprimierende Vibes auf der Party verbreiten wollten. Es brauchte ein einstündiges Nickerchen und diverse Pizzastücke, um den zweiten, vernichtenden Schock dieses Trips halbwegs zu verdauen und wieder ans Pooldeck zu gehen.

Nadastroms Set zum Sonnenaufgang

Skrillex war der erste Künstler, der sich am frühen Sonntagmorgen öffentlich zu den Ereignissen auf dem Schiff äußerte. Als er während Nadastroms fantastischem Set zum Sonnenaufgang auf die Bühne ging, dankte er der Veranstalter-Crew, den Sicherheitsleuten, den Angestellten und allen anderen, die an Bord waren: „Ich will euch allen für diese unglaubliche Energie danken. Und man muss einfach sagen, dass wir hier ein paar wirklich schlimme Dinge durchgemacht haben. Ein Tag bleibt uns noch auf diesem Boot, ein Tag mehr, um diesen Trip unglaublich zu machen. Holt euch etwas Schlaf und lasst uns morgen richtig loslegen! Heute!"

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Der Sonntag war geprägt von Vorfreude und großen Erwartungen, die sich immer weiter steigerten, je näher die Zeit an den für 1 Uhr nachts geplanten Jack Ü-Auftritt rückte. Künstler wie Dillon Francis und Thomas Jack, die eigentlich in Cozumel hätten an Bord kommen sollen, schafften es wegen unserer geänderten Reiseroute nicht zu uns aufs Schiff. Da die Beachparty abgesagt war, hatten alle ihre Hoffnung darauf gesetzt, dass diese letzte Performance das absolute Highlight werden würde.

Jack Ü performen via Livestram aus dem Büro der Norwegian Pearl

Das Schicksal wollte es dann aber leider so, dass sich bloß 15 Minuten nach Beginn von Jack Üs Performance der Himmel verdunkelte und ein gigantischer Sturm aufzog. Die Show musste unterbrochen werden. An dieser Stelle aber noch einmal ein großes Lob an Diplo und Skrillex, die so sehr darauf bestanden, ihr Set fertig zu spielen, dass sie die Schiffsbesatzung dazu überredeten, ihren Auftritt per Livestream aus den Büroräumen der Norwegian Pearl auf alle Fernseher auf dem Schiff übertragen zu dürfen. Dafür bauten sie ihr Equipment behelfsmäßig auf dem Schreibtisch irgendeines Mitarbeiters auf und gaben sich solche Mühe, dass ich ihnen sogar verzeihen konnte, dass das, was übersteuert aus den Fernsehlautsprechern plärrte, absolut beschissen klang.

Man hatte wirklich an alles gedacht—selbst das Serviettendesign

Man hätte wirklich erwartet, dass die Tragödie um Kaylyns Tod und die Absage der Beachparty daraufhin die Feierstimmung auf dem Schiff total runterziehen würde, aber die Herzlichkeit an Bord, dieses Miteinander war die eine Sache, an die ich mich immer erinnern werden, wenn ich zurück an diese unglückselige Kreuzfahrt denken werde. Wenn man die Beiträge der Partygäste in der Mad Decent Boat Partiers Facebook-Gruppe überfliegt, dann überwiegen dort mit Abstand die positiven und verständnisvollen Beiträge gegenüber den Beschwerden. Ein Besucher schlug sogar vor, die Eintrittspreiserstattungen an den Kaylyn Memorial Fund zu spenden, woraus sofort eine GoFundMe-Kampagne wurde, die jetzt schon Zwei Drittel ihres angestrebten Ziels erreicht hat. Tausend Dank noch mal an alle, die sich darum bemüht haben, den Vibe positiv zu halten—von Handlebar John, über Jack Ü bis hin zu den ganzen Leuten auf der Mad-Fam-Facebookseite, die Empathie zeigten statt zu jammern. Frieden ist unsere Mission, vergesst das nicht.

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