Burkhard Blienert, der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen steht am Kottbusser Tor in Berlin in der Sonne
Fotos: Rebecca Rütten
Politik

Wir haben den Drogenbeauftragten gefragt, warum Cannabis noch illegal ist

Außerdem: Warum beendet er nicht sofort die Verfolgung von Kiffern? Dürfen Ex-Dealer bald Gras verkaufen? Und ab wann können Konsumenten testen, welches Zeug wirklich in ihren Drogen steckt?
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Alles zur Cannabis-Legalisierung

Millionen Menschen beobachten gerade sehr genau, was Burkhard Blienert sagt, schreibt und tut. Der neue Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen soll umsetzen, was die Ampelkoalition versprochen hat: "Die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften." So steht es etwas umständlich im Koalitionsvertrag. Die Bundesregierung will Cannabis legalisieren und außerdem Drug-Checking einführen, also das Testen illegaler Drogen auf deren Inhaltsstoffe. Die Erwartungen an Blienert, 56, sind hoch. Auch, weil er sich als Experte einen Namen gemacht hat. Von 2013 bis 2017 saß er für die SPD im Bundestag und beschäftigte sich schon damals mit Drogenpolitik. Heute muss er sich daran messen lassen.

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Darum soll es bei unserem Treffen in Berlin-Kreuzberg gehen. Aber Burkhard Blienert, so scheint es, möchte weniger von Dingen sprechen, die schon konkret sind, sondern lieber von der Zukunft – von Debatten, die noch geführt werden sollen und Entscheidungen, die noch getroffen werden müssen. Man merkt: Er gibt sich große Mühe, sich nicht in die Karten blicken zu lassen.

VICE: Wie oft werden Sie am Tag gefragt, wann Cannabis legal wird? 
Burkhard Blienert:
Ich habe vollstes Verständnis, dass viele genau das jetzt beantwortet haben wollen. Das ginge mir genauso, wenn man so lange Jahre darauf wartet, dass sich endlich was in der deutschen Drogen- und Suchtpolitik ändert.

Und was antworten Sie auf die Frage? 
Wir machen keine Schnellschüsse, die irgendwann nach hinten losgehen, sondern wir gucken uns den gesamten Fragenkomplex an und werden genau das einführen, was der Koalitionsvertrag als Auftrag vorgegeben hat. 

Würde es nicht helfen, sich ein festes Datum zu setzen – oder wenigstens eine Jahreszahl? 
Es gibt ja mehrere Methoden, um eine Aufgabe zu lösen. Eine Möglichkeit ist, ein Datum festzulegen, bis zu dem zum Beispiel ein Roman fertig sein muss. Wir wissen aber noch gar nicht, wie umfangreich der Roman sein wird, wie viele Kapitel er umfasst. Die Aufgabe ist sehr komplex, weil vieles miteinander verschränkt ist. Genau daran arbeiten wir. Und wir werden es dementsprechend dann auch irgendwann mit einem Zeitrahmen versehen. 

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Auch bei VICE: Fängst du an zu kiffen, wenn Cannabis legal wird?


Kurz nach der Bundestagswahl und noch bevor Sie Ihr neues Amt angetreten haben, forderten Sie in einem Artikel in der Welt die Entkriminalisierung von Cannabis innerhalb der ersten 100 Tage der neuen Bundesregierung. Die Zeit ist um. Warum ist nichts passiert?
Ich habe mich immer wieder an verschiedenen Zeitpunkten in diese Debatte eingebracht. Zu meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter und auch später haben wir bei der Cannabis-Legalisierung noch über Modellprojekte und ein ganz anderes abgestuftes Verfahren gesprochen. Darauf muss man auch diesen Artikel beziehen. Ich habe darin deutlich gemacht, wie wichtig mir das Thema Entkriminalisierung ist. Der Koalitionsvertrag geht mit der kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Fachgeschäften jetzt aber noch über dieses Konzept hinaus.

Auch der Verein Law Enforcement Against Prohibition (LEAP), dessen Mitglied Sie sind, fordert die sofortige Entkriminalisierung. Die Polizei müsste dann niemanden mehr verfolgen, der Cannabis konsumiert. Was spricht dagegen?
Wir reden über diese Punkte, aber eben auch darüber, dass wir einen ordentlichen Jugendschutz brauchen und eine gesicherte Lieferkette vom Anbau über die Weiterverarbeitung und Lieferung bis hin zum Handel. Weil wir den Auftrag haben, es komplett zu machen. Und das werden wir auch erfüllen.

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Das wird noch dauern. Cannabis zu legalisieren, geht nur mit Zustimmung des Bundesrats. Die Entkriminalisierung von Cannabis auch ohne. Warum machen Sie diesen Zwischenschritt nicht? 
Bei der kontrollierten Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken sind viele Ministerien beteiligt. Alle diese Fäden müssen wir zusammenbinden, damit wir am Ende ein kohärentes Modell haben. Die kontrollierte Abgabe kommt in dieser Legislaturperiode. Dafür stehe ich. Aber die Bundesregierung beschäftigt gerade nicht nur Corona, sondern auch die Ukraine. Das bindet Ressourcen.

LEAP schlägt auch vor, Volljährigen den Eigenanbau von bis zu drei Hanfpflanzen zu erlauben. Werden Sie das umsetzen? 
Auch über diesen Punkt werden wir reden. Es gibt mehrere Vorschläge, etwa auch das Cannabiskontrollgesetz der Grünen. Das ist mir alles nicht unbekannt. Das bedeutet aber auch, dass ich weiß, wie differenziert man das betrachten muss …

Ein lautes Scheppern unterbricht das Gespräch, als eine ältere Frau ihre leere Wodkaflasche in einen Mülleimer versenkt. Burkhard Blienert scheint zu überlegen, dann lacht er. Kurz verlässt er die Ebene der strengen Sachlichkeit. Ein seltener Moment in diesem Gespräch. 

Burkhard Blienert: Die durfte, sie war über 18.

Wer ist bei der Legalisierung Ihr größter politischer Gegner?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. 

Gibt es etwa keinen? 
Das ist für mich kein Thema. Wer mit mir debattieren will, soll debattieren. 

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Sie erhalten also keine Brandbriefe von der Deutschen Polizeigewerkschaft, in denen man Sie auffordert, sich das mit der Legalisierung noch mal zu überlegen?
Es gibt unterschiedliche Meinungen. Aber das ist so in einer offenen Gesellschaft. Und damit wird man sich auseinandersetzen. Selbst über einen Streit können wir vielleicht zu besseren Lösungen kommen. 

Der Drogenbeauftragte Burkhard Blienert, ein Mann mittleren Alters mit grauen Haaren und Brille, sitzt im Interview auf einer Bank und spricht über die Legalisierung von Cannabis

Wie nehmen Sie erzkonservativen Menschen die Angst vor einer fortschrittlichen Drogenpolitik?
Der erste Schritt, den ich bei diesen teils schwierigen Debatten gehe, ist, nicht die Substanz in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen, sondern den Menschen. Darum geht es eigentlich: Wenn jemand ein missbräuchliches Konsumverhalten hat, braucht er Hilfe und Unterstützung. Und dabei darf ihn die Gesellschaft nicht alleine lassen. Gesundheitsschutz statt Strafe. Das verstehen viele. Es geht mir auch um einen Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik. Um einen kulturellen Wandel, vor dem man keine Angst haben muss. Nehmen wir Tabak: Heute ist es selbstverständlich, dass in Restaurants nicht mehr geraucht wird. Früher wurde in der Debatte um Rauchverbote darum teils heftig gestritten. 

In der Koalition wird diskutiert, Cannabis zum Freizeitkonsum in Apotheken zu verkaufen. Fänden Sie es gut, wenn Eltern mit ihrem Kind in der Apotheke Medizin abholen und sich daneben jemand mit Cannabis fürs Wochenende eindeckt?
Auch das werden wir uns in den Debatten anschauen. Wo ist der richtige Ort, wie sehen lizenzierte Fachgeschäfte aus? Das können Apotheken sein, müssen sie aber nicht. 

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Das Know-How für den Cannabis-Anbau liegt vor allem bei Menschen, die derzeit noch als Kriminelle gelten. Wer soll künftig in der legalen Cannabis-Industrie arbeiten? 
Für die lizenzierten Fachgeschäfte müsste das Personal geschult werden, auch zu einzelnen Substanzen und deren Wechselwirkungen. Meine Wunschvorstellung wäre, das mit den Sucht- und Hilfesystemen vor Ort zu verzahnen. Oft wird über künftige Steuereinnahmen gesprochen. Da macht es Sinn, sie genau in diese Bereiche wieder zu investieren. In Jugendschutz und Präventions- und Beratungsmaßnahmen.

Noch mal konkret: Dürfen verurteilte Dealer künftig legal Cannabis verkaufen?
Wir müssen erst einmal die nötigen Kriterien erarbeiten und dann sehen, wer diese Kriterien erfüllt. Dazu gehört auch zu schauen, welche Anforderungen an das Fachpersonal gestellt werden müssen.

In Kalifornien ist Cannabis legal. Seit einiger Zeit wächst dort wieder der Schwarzmarkt. Es gibt immer mehr illegale Plantagen, weil die Steuern auf Cannabis hoch sind und die Strafen auf illegalen Anbau gering. Wie wollen Sie Ähnliches in Deutschland verhindern?
Die Erfahrungen in den USA lassen sich nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Ich kenne auch die Modelle aus Uruguay und Kanada, wo man auch schon ein paar Jahre Erfahrung hat. Wir werden natürlich diskutieren, welcher Zusammenhang zwischen Besteuerung und Schwarzmarkt besteht. Generell werden wir uns genau ansehen, welche möglichen Probleme es gibt und welche Entwicklungen wir vermeiden können. 

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Die Bundesregierung möchte neben Cannabis auch Drug Checking legalisieren. Ab wann darf man in Deutschland illegale Drogen auf deren Inhaltsstoffe testen lassen?
Auch da gibt es noch keinen Zeitplan. Aber es steht im Koalitionsvertrag und es ist ein wichtiges Signal, dass diese Bundesregierung das machen wird. 

Streckmittel und Verunreinigungen in Drogen führen immer wieder zu Überdosierungen und Todesfällen. Drängt da nicht die Zeit?
Auch wenn Drug Checking endlich von vielen als notwendig erachtet wird, bedarf es noch der Debatte. In diversen Fragen der Drogenpolitik haben sich Entscheidungen aufgestaut. Das ist jetzt die Herausforderung für diejenigen, die sich diesen Entscheidungen stellen und sie anpacken. Und das werden wir. 

Wird man Drogen künftig direkt in Clubs testen lassen können?
Mir ist vor allem wichtig, dass der einzelne Drug Checking auch als das empfindet, was es sein kann: Schadensminimierung. 

In den sozialen Netzwerken wurde Ihre Berufung zum Drogenbeauftragten zunächst gefeiert. Inzwischen reagieren viele Menschen ungeduldig, die auf eine schnelle Cannabis-Legalisierung gehofft haben. Der Ton wird rauer. Wie gehen Sie damit um?  
Das gehört heutzutage zur normalen Kommunikation dazu. Jeder ist für sich selbst verantwortlich bei dem, was er da tut und sagt. Ich kann nur sagen, dass mein Ton immer möglichst auf einer ruhigen Art basiert, auf Wissen und Evidenz. Ich bin dafür verantwortlich, wie ich kommuniziere und was ich kommuniziere. Für das andere sind die verantwortlich, die mit ihren Kommentaren meinen, etwas dazu sagen zu müssen. 

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Ruppige Kommentare prallen an Ihnen ab?
Ich bin Mensch und da prallt auch nichts irgendwo ab, sondern man interagiert.

Sie betonen, Verfechter einer evidenzbasierten Politik zu sein. Muss man besonders seriös auftreten, wenn man als Politiker über Drogen spricht?
Wir brauchen in der Politik immer Seriosität und Wissen. Politik ist die Bereitschaft, ehrlich an den Problemen zu arbeiten, für Lösungen zu sorgen, und den Menschen zu erklären, wie diese aussehen und welche Konsequenzen damit verbunden sind. 

Aber werden Sie nicht doch stärker mit Vorurteilen konfrontiert als andere?
Ich mache hier keine Skala auf, wo welche Vorurteile bestehen. Ich habe schon in manchen Politikbereichen Erfahrungen gemacht. Da war genauso viel von dem im Spiel, was man unter Ideologie versteht. Im Rahmen der Debatte werden wir mit Verbänden, mit der Wissenschaft, mit engagierten und betroffenen Menschen diskutieren. Das wird mit Sicherheit keine Harmonieveranstaltung, weil jeder mit seinen Interessen, Bedürfnisse und Erwartungen an die Politik der neuen Bundesregierung herantritt. Und diese Erwartungen will ich im Dialog auch erfüllen. Ich will darüber reden, was wir vorhaben. Und wenn wir die ersten Schritte vereinbart haben, wenn das Rahmenkonzept steht, dann wird dieser Dialog auch weitergehen. Ich kann nur herzlich dazu einladen, sich an dieser Debatte sachlich zu beteiligen. Macht mit, geht vielleicht auch in die Vereine und Verbände oder engagiert euch in den Parteien. Dann werden viele sehen, wie kompliziert es tatsächlich ist, in der Drogen- und Suchtpolitik mit anderen Leuten um Lösungen zu ringen.

Es wirkt zur Zeit weniger auf mich, als würden Sie Erwartungen erfüllen, sondern als würden Sie sie dämpfen.
Meine Aufgabe ist zu erklären, welche Herausforderungen es gibt und wie komplex das Thema ist. Es ist eben nicht nur ein Hebel, den man umlegt. Es gibt immer Wechselwirkungen in viele andere Bereiche. Im Sinne der Sache ist es deshalb wichtig, alle mitzunehmen. Mit vorschnellen Forderungen kommt man da nicht weiter. 

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